Sehnsucht nach dem Maerchenprinzen
an.
Wird sie ihren Enkel auch so anschauen? Wird sie überhaupt lächeln?
âIch finde, es bildet einen reizvollen Gegensatz zu der Aussichtâ, meinte Rohan. âStimmst du mir da zu, Charlotte?â Wieder dieser übertrieben rücksichtsvolle Ton! âDie Balkonbepflanzung stammt übrigens von einem namhaften Gartenarchitekten.â
âEine Meisterleistung ⦠soweit ich das beurteilen kann.â Die höflichen Floskeln halfen Charlotte, sich zu entspannen. Durch die offene Balkontür konnte sie mehrere Tonkästen mit ausgesuchten Grünpflanzen sehen, unter anderem eine weiÃe Passiflora, die sich an einer Wand in die Höhe rankte.
âIch sitze dort in einer kleinen grünen Oaseâ, meinte Mary Rose lächelnd. âEs ist erstaunlich, wie vielfältig man so einen Balkon gestalten kann.â Sie setzte sich auf die eine Seite des Sofas. âSie sehen hübsch aus, Charlotte. Kommen Sie ⦠setzen Sie sich zu mir.â
Charlotte folgte der Aufforderung. Anspielungen auf ihre Schönheit hatten sie schon immer so verunsichert, dass sie ihr gutes Aussehen eher als Belastung empfand. AuÃerdem gab es für sie viele Dinge, die ihr weitaus wichtiger waren.
âDabei ist Charlotte gar nicht eitel, Mum.â Ganz Kavalier, führte er Charlottes Hand an die Lippen, eine Geste, die leider auch nur gespielt war.
â Sie sehen auch ausgesprochen gut ausâ, wandte Charlotte sich an Mary Rose, ohne Rohan ihre Hand zu entziehen. Sie wagte es nicht, sich auszudenken, was er als Nächstes machen würde.
âIch muss gestehen, dass ich viel dafür tueâ, antwortete Mary Rose. âIch besuche zweimal wöchentlich ein Fitnessstudio. Rohan legt groÃen Wert auf mein Aussehen ⦠und meine Kundinnen natürlich auch.â
âKaum jemand sieht so schön und jung aus wie meine Mutterâ, mischte Rohan sich in das Gespräch ein.
âDas kann ich mit gut vorstellen.â
Vielleicht wird es gar nicht so schlimm, dachte Charlotte. Allem Anschein nach hatte man ihr vergeben. Doch Mary Rose wusste ja auch noch nichts von ihrem Enkel.
Wie Charlotte gefürchtet hatte, kam Mary Rose dann plötzlich auf Martyn zu sprechen. âEs tat mir so leid, von seinem frühen Tod zu hörenâ, sagte sie. âEs muss schlimm gewesen sein ⦠für Sie und den kleinen Christopher. Rohan hat mir erzählt, was für ein aufgeweckter Junge er ist. Haben Sie zufällig ein Foto bei sich? Wenn ja, würde ich es sehr gern sehen.â
Mit klopfendem Herzen öffnete Charlotte ihre Handtasche. Auf dem Bild, das sie immer bei sich hatte, war Christopher fünf Jahre alt. Sie hatte sich schon lange vorgenommen, es durch ein neueres zu ersetzen, und war jetzt heilfroh, dass sie es nicht getan hatte.
âDie Aufnahme wurde vor zwei Jahren gemachtâ, erklärte sie und gab Mary Rose das Foto. Christopher hatte darauf noch die blonden Kinderlocken und lächelte wie ein Engel.
Rohans Mutter betrachtete es eine Weile und hob dann langsam den Kopf. âSie werden es nicht glauben, Charlotte, aber er ähnelt meinem Rohan, als er in dem Alter war. Er hatte nicht immer dunkles Haar. In den ersten Jahren war er genauso blond.â Sie versenkte sich wieder in die Betrachtung des Bildes. âDer Junge ist so hübsch wie Sie, Charlotte. Er macht Ihnen sicher groÃe Freude.â Dann runzelte sie die Stirn. âEine Ãhnlichkeit mit Ihnen oder Martyn kann ich allerdings nicht feststellen.â
âEr verändert sich laufend.â Charlottes Puls raste, und das Blut rauschte ihr in den Ohren.
âHoffentlich lerne ich ihn bald kennen. Und wie geht es Ihren Eltern?â
âHat Rohan Ihnen nichts erzählt?â Charlotte drehte sich zu ihm um und sah direkt in seine leuchtend blauen Augen. Entgegen ihrer Erwartung schwieg er und überlieà die Antwort seiner Mutter.
âNeinâ, erwiderte Mary Rose nach kurzem Besinnen. âIch sah auch keinen Anlass, mich nach ihnen zu erkundigen. Die Jahre nach Matthews Tod waren für uns alle sehr schwer. Sie hatten Ihren Bruder, und Rohan hatte seinen besten Freund verloren. Die Art, wie Ihre Mutter meinen Sohn dafür verantwortlich machte, hat mir fast das Herz gebrochen. Andererseits habe ich verstanden, dass der Schmerz sie beinahe um den Verstand gebracht hat. Zum Glück hat Rohan das alles hinter sich gelassen ⦠wie ich auch.
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