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Sehnsucht nach Leben

Sehnsucht nach Leben

Titel: Sehnsucht nach Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Kaeßmann
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Vögel, das Bellen des Hundes, die Geräusche der Mitmenschen! Wie gesagt, Martin Luther war überzeugt, dass das Kloster nicht automatisch ein gottgefälligerer Ort sei als das Familienleben. Ebenso ist die Zurückgezogenheit in die Stille gewiss nicht gottgefälliger als der Alltag der Welt.
    Stille darf nicht zur Sucht werden, sonst entziehen wir uns dem Leben. Aber Stille kann die Quelle sein, die uns die nötige Kraft schenkt, um dem Lärm des Lebens zu begegnen und die Herausforderungen des wuseligen Eigensinns der Realität anzunehmen. Stille finden bedeutet, auf beste Weise „leer“ werden. Aus all dem Wirbel in diese weiße Mitte vordringen, Ruhe finden. Stille finden heißt auch, offen werden für Neues. Neue Wege finden. Sicherer werden.
    Wer die Sehnsucht nach Stille in sich spürt, ist auf der Suche nach Lebenssinn, nach Gott, nach Orientierung. Die Seele meldet sich und wir sollten sie hören. Denn Stille tut gut, Stille stärkt. Stille bringt mich zurück auf die Spur des Lebens. Geben wir also dieser Sehnsucht Raum, wenn wir sie spüren.

Sehnsucht nach
HEIMAT

    Was eigentlich ist Heimat? Der Ort, an dem ich geboren bin? Der Ort, an dem ich derzeit lebe? Das Land, in dem ich aufwachse? Meine Kultur? Viele Menschen auf dieser Welt haben zunehmend Probleme damit, „Heimat“ für sich zu definieren. Da sind die „Jetsetter“, die von ihrem Arbeitgeber von Ort zu Ort und Land zu Land versetzt werden. Am Anfang klingt das toll: Abu Dhabi, New York, Rio de Janeiro und Durban. Aber irgendwann wächst in ihnen eine Unruhe, eine Sehnsucht danach, irgendwohin zu gehören.
    Ich denke aber auch an die Flüchtlinge dieser Welt. So unendlich viele gibt es, die ihre Heimat verlassen müssen, weil sie aufgrund von Gewalt, Hunger oder Umweltzerstörung keinen lebensfähigen Raum mehr haben.
    Es ist gut zu fragen, wo ich verwurzelt bin. In jedem Menschen steckt diese Sehnsucht nach Beheimatung. Meist spüren wir, wie wichtig es ist, eine solche Verwurzelung zu haben. Zum einen tief in mir zu wissen, wer ich bin, was mich antreibt im Leben und wo ich Halt finde. Zum anderen geht es darum, mich mit anderen zu „beheimaten“, das heißt, ich brauche Menschen um mich, die mich vorbehaltlos lieben. Menschen, von denen ich mich angenommen weiß und die mir in den Stürmen des Lebens eine Heimat bieten, eine offene Tür im realen oder im übertragenen Sinne.
    Ernst Bloch schrieb zwischen 1938 und 1947 im Exil das Buch „Prinzip Hoffnung“, das ich 1977 während meines ersten Studiensemesters regelrecht verschlang. Darin skizziert Bloch eine konkrete Utopie von kleinen Tagträumen über Wunschbilder bis hin zu den Grundrissen einer besseren Welt. Und ganz am Ende steht dieser Satz über die Heimat: „Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ [6]
    Das klingt etwas kompliziert, ich weiß. Aber ich finde, es umschreibt die Sehnsucht nach Heimat treffend. Allen „scheint“ sie in die Kindheit, alle begleitet sie, und doch ist Heimat wahrscheinlich ein Ort, den wir nie im tiefsten Sinne erreichen werden; sie ist eine Utopie. Mich hat das damals so berührt, weil Heimat ein Thema meiner Kindheit war. Meine Großmutter stammte ursprünglich aus einem Forsthaus in Schlesien und hatte einen Gutsverwalter in Lazig bei Köslin (Hinterpommern) geheiratet, wo auch meine Mutter geboren wurde. Lazig und Köslin, das war für sie daher Heimat. Meine Mutter war dort getauft worden und zur Schule gegangen. Die Großeltern verpassten am 2. März 1945 den letzten Zug nach Westen, weil meine Tante mit dem dritten Kind in die Wehen kam. So mussten sie bleiben, als die Sowjetarmee anrückte; mein Großvater wurde nach Sibirien verschleppt und verstarb auf dem Transport. Großmutter, Tante und drei Kleinkinder verbrachten mit anderen Frauen ein entsetzliches Jahr, bevor sie sich 1946 auf den Weg nach Westen machen konnten. Diese Orte, von denen sie mir später erzählten, klangen für mich manchmal mehr nach Heimat als Stadtallendorf. Das war eine Kleinstadt in der Nähe von Marburg, ein ehemaliges

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