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Sehnsucht nach Leben

Sehnsucht nach Leben

Titel: Sehnsucht nach Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Kaeßmann
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als Amerikanerin. Sie suchte Heimat, doch an dem Ort, der vor Generationen die Heimat ihrer Väter und Mütter gewesen war, war sie heute eine Fremde. Das war für sie eine ungemein schmerzhafte Erfahrung.
    Ich selbst habe mich nie so sehr nach Heimat gesehnt. Das mag daran liegen, dass ich innerhalb Deutschlands viele Male umgezogen bin – als Studentin, als Vikarin, als Pfarrerin, mit und ohne Familie. Aber trotzdem habe ich zweimal, als ich das Angebot bekam, über einen längeren Zeitraum im Ausland zu arbeiten, gemerkt: Das wäre ein Schritt zu viel. Ich betrachte Deutschland, vielleicht auch Westeuropa, als meine Heimat. Hier bin ich verwurzelt. Hier weiß ich, wie Menschen „ticken“. Ich liebe die unterschiedlichen Landschaften. Ich schätze die Kultur. Ich kenne die Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen. Vor allem aber leben hier die Menschen, die ich liebe – meine Töchter, meine erweiterte Familie, Freundinnen und Freunde.
    Ich habe oft erlebt, dass bei Menschen, die gezwungenermaßen oder auch freiwillig ihre Heimat in diesem Sinne verlassen haben, die Sehnsucht stark wird, ja, schlimm, überwältigend. Da erschien das Auswandern zunächst als tolles Abenteuer der Freiheit, aber dann werden Wurzeln gesucht. Da erschien das Visum für das neue Land als großartige Chance, aber dann kommt sie doch, diese Sehnsucht nach „zu Hause“. Dann ist Heimat eben auch das Wissen um Rituale, der zarte Sinn für Ironie und Humor, die in fremden Sprachen schwer verständlich sind. Da geht es um Gerüche, Speisen, Lieder und Tradition.
    In besonderer Weise kann auch der Glaube eine Heimat sein. Als ich 1991 zu einer Konferenz nach Australien flog, war ich im dritten Monat schwanger, der Irakkrieg hatte begonnen, ich vermisste meine drei älteren Kinder und wusste nicht, was ich in Sydney sollte. Sonntags ging ich in einen lutherischen Gottesdienst – fühlte mich willkommen und fand Heimat: Du singst „Lobet den Herren“ und fühlst dich zu Hause. Du hörst Psalm 23 und weißt, es klingt vertraut. Du betest das Vaterunser und bist Teil der Gemeinschaft. Du hörst Glocken läuten und weißt, wohin sie rufen. Jemand liest eine biblische Geschichte und du hast sie oft gehört. Beheimatet sind wir also auch bei Menschen, die denken, wie wir denken, die glauben, wie wir glauben, die Texte, Traditionen, Lieder und Gebete mit uns teilen. Da kann ich mich verwurzeln, mich einordnen in eine Reihe von Schwestern und Brüdern vor mir und nach mir, rund um den Globus und durch alle Zeiten. Wer im eigenen Glauben verwurzelt ist, wird auch an neuen Orten Heimat in der Glaubensgemeinschaft finden.
    Heimat kann ein konkreter Ort sein. Eine Zuflucht, in der ich geschützt bin. Eine Wohnung, die ich so eingerichtet habe, wie es mir guttut. Mein eigenes Zimmer, in dem ich mich beheimate. Aber es gibt auch die Heimat in mir – gleichgültig, wo ich lebe –, die mir in gewissem Sinne auch Freiheit schenkt. Denn wer in sich selbst Heimat gefunden hat, ist nicht länger an die Erwartungen und Festlegungen anderer gebunden, sondern offen, auf Neues zuzugehen.
    Ich denke, die Sehnsucht nach Heimat beinhaltet gerade in unserem Zeitalter der ständigen Mobilität im Grunde eine Hoffnung auf einen festen Platz im eigenen Leben. Irgendwo hingehören und nicht ständig so ruhelos und rastlos herumzuhecheln – das klingt nach Befreiung! Nicht immer die „Kirschen in Nachbars Garten“ suchen, sondern zufrieden sein mit dem, was ich habe, da, wo ich bin. Früher haben dörfliche Strukturen beheimatet, die Ehe, die Familie, die Gemeinde, die Stadt. Heute kennen sich Menschen mancherorts auch in der Nachbarschaft nicht mehr. „Schlafstädte“ entstehen, die Menschen nur noch „zwischendurch“ aufsuchen. Sehnsucht nach Heimat kann auch einen Appell in uns selbst auslösen, weniger rastlos zu sein. Zu Hause anzukommen, die Nachbarn einzuladen, sich vor Ort zu engagieren, ja, sich zu „ver-orten“ und dann zu sagen: „Hier gehöre ich hin.“ In diesem Sinne verstehe ich Heimat nicht als Enge, sondern als Zugehörigkeit in aller Freiheit. Und dazu gehört dann vielleicht auch manches Mal, dass diese Bindungen vor Ort wichtiger werden als eine mögliche Dienstreise nach Rio oder ein kurzfristiges Engagement in Neuseeland. Sich beheimaten – das ist ein besonderes

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