Sehnsucht nach Leben
sehr starkâ (2. Mose 1,15â20).
Was die beiden tun, kann als ziviler Ungehorsam angesehen werden. Was bringt sie dazu, so mutig zu sein? Ist es die Liebe zum Leben? Als Hebammen erhalten sie in ihrem Beruf immer wieder einen Eindruck davon, wie kostbar Leben, wie zerbrechlich es ist. Jede Geburt ist ein Wunder! Ein Kind wird geboren und nach all den Schmerzen ist das Glück groÃ. Wie könnte eine Hebamme da das Kind töten? Ein unfassbarer Gedanke. Die Hebammen gewinnen die Kraft, sich zu widersetzen. Und sie tun es geschickt, auf eine Weise, die sie auch selbst schützt. Sie sind mutig und clever zugleich. Wie sagt Jesus: âSiehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Taubenâ (Matthäus 10,16). Ja, klug sind die beiden Hebammen. Denn sie sorgen auch für sich selbst und verraten doch ihren Auftrag, für das neugeborene Leben Sorge zu tragen, nicht. Eine sehr mutige und bewundernswerte Leistung, eine beachtliche Gratwanderung!
Ich bewundere Mut in Menschen. Und viele tun das, ja, sie wünschen sich, selbst mutig zu sein. Hätte ich den Mut gehabt, mich in Hitlerdeutschland dem Widerstand anzuschlieÃen? Wäre ich als Christin in der DDR mutig gewesen? Könnte ich heute in einer U-Bahn eingreifen, wenn Menschen Gewalt ausgesetzt sind? Ich weià es nicht. Ich kann es nur hoffen. Mut ist auch ein Geschenk, ja, eine Gnade, wenn wir ihn im rechten Moment aufbringen. Und wir haben auch ein unterschiedliches Verständnis davon, was überhaupt mutig ist. âSie hatten so einen Mut, sich zur Ratsvorsitzenden wählen zu lassenâ, sagte eine Frau mir. Ich war damals ganz erstaunt, denn ich fand mich gar nicht mutig; für mich hatte es sich einfach so ergeben. Erst im Nachhinein dachte ich: Ganz schön mutig, in der Tat ...
Mut lässt sich nicht diktieren und über Mut lässt sich auch nicht im Voraus entscheiden. Aber Mut ist Teil einer Glaubenshaltung. Es ist heute historisch umstritten, ob Martin Luther vor dem Reichstag in Worms wirklich jene Worte sagte: âIch stehe hier. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.â Aber diese Worte sind Legende geworden. Ein kleiner Mönch aus einer unbedeutenden Stadt wie Wittenberg stellte sich dem Kaiser und dem Papst in aller Schlichtheit entgegen. Was für eine Provokation! Und was für ein Mut! Bei allen Fehlern, die Martin Luther durchaus hatte und beging â es ist dieser Mut, für den er weltweit steht. Er hatte seinen Lebenssinn gefunden, seine Ãberzeugungen an der Bibel geschärft und nichts konnte ihn mehr von seiner Haltung abbringen.
Mut hat das Christsein von Anfang an geprägt. Der Apostel Paulus schreibt beispielsweise an die Gemeinde in Korinth: âWachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark!â (1. Korinther 16,13). Er ermutigt, zu diesem im eigenen Umfeld damals so umstrittenen, fragwürdigen, angegriffenen Glauben zu stehen. Und das Thema hat heute nichts von seiner Brisanz verloren, obwohl unsere Situation eine völlig andere ist! Wage ich es, im eigenen Umfeld zu sagen: âIch bin Christin. Ja, in der Tat, ich glaube nicht irgendwie so an Gott, sondern ich glaube, dass Jesus für mich der Weg, die Wahrheit und das Leben istâ? In so mancher Diktatur ist das zutiefst riskant. In Ländern wie dem Sudan, Indonesien, Saudi-Arabien kann es einen Menschen das Leben kosten, mutig und stark zu sein und sich zum Glauben an den auferstandenen Christus zu bekennen. Und in Westeuropa laufen wir mit einer solchen ÃuÃerung unter Umständen Gefahr, der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden. âBrauchst du das? Bist du wirklich noch in der Kirche?â Glaube ist für viele eine irgendwie minderwertige Lebenseinstellung.
Mut kann in einer solchen Situation ungemein beflügeln. Die Erfahrung, ich habe mich nicht geduckt, sondern in aller Freiheit zu meiner Ãberzeugung gestanden, ist groÃartig. Ich weiÃ, wer ich bin, was ich glaube, und es kann mich nicht verletzen, wenn andere das verachten. Ebenso kann uns die Wahrnehmung niederdrücken, dass wir nicht die Kraft hatten, mutig zu sein, aus welchen Gründen auch immer. Wir kennen vermutlich alle das Gefühl, versagt zu haben, nicht gut genug zu sein, vor den eigenen Ansprüchen einzuknicken. Und wir sehnen uns danach, ganz anders zu sein. Es ist eine gute, lebensstärkende Erfahrung, offen zu
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