Sehnsucht nach Leben
den eigenen Ãberzeugungen stehen zu können. Aber wir werden immer wieder auch mit der gegenteiligen Erfahrung umgehen müssen.
In einer Phase meines Lebens habe ich mich sehr verletzt gefühlt, weil so viele mich für eine bestimmte Haltung kritisierten. Ich wollte mich ständig rechtfertigen, alles richtigstellen, geraderücken. Ein Freund sagte in dieser Situation zu mir: âWenn du eine Position einnimmst, werden sich die Leute daran reiben. Das kannst du nur vermeiden, indem du keine Position einnimmst.â Dieser Rat hat mir sehr geholfen. Wir müssen akzeptieren lernen, dass wir nicht âeverybodyâs darlingâ sein werden, wenn wir den Mut finden, eine eigene Meinung zu haben und für den Glauben, für das Leben oder für eine Position einzutreten.
Ich finde es daher ermutigend, wie in der Bibel auch diejenigen, die versagt haben, eine zweite Chance bekommen. Petrus etwa ist völlig mutlos, als er nach der Verhaftung Jesu vehement erklärt, dass er diesen überhaupt nicht kennt: âPetrus aber saà drauÃen im Hof; da trat eine Magd zu ihm und sprach: Und du warst auch mit dem Jesus aus Galiläa. Er leugnete aber vor ihnen allen und sprach: Ich weià nicht, was du sagst. Als er aber hinausging in die Torhalle, sah ihn eine andere und sprach zu denen, die da waren: Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth. Und er leugnete abermals und schwor dazu: Ich kenne den Menschen nichtâ (Matthäus 26,69â72). Mutlos ist er. Ein Versager. Ein Verräter am besten Freund!
Doch es ist derselbe Petrus, der beim ersten Pfingstfest, so berichtet der Evangelist Lukas, die Führungsrolle übernimmt und interpretiert, was geschehen ist: âDa trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; sondern das istâs, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1â5): ,Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgieÃen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben ...ââ (Apostelgeschichte 2,14 â17).
So überwindet Petrus seine eigene Mutlosigkeit durch Gottvertrauen, Liebe, Gemeinschaft und Zuversicht. Am Ende gilt er, der versagt hat, als Mut gefordert war, geradezu als Leitfigur. Es ist derselbe Petrus, der später die Leitung der ersten Gemeinden übernehmen wird und von dem gesagt wird, er sei der Fels, auf dem die Kirche aufbaut. Ja, es kommt zu einer Aussage, von der das römisch-katholische Papstamt selbst abgeleitet wird: âDu bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigenâ (Matthäus 16,18).
Petrus findet also sozusagen im zweiten Anlauf den Mut, für die Sache einzutreten. Sein Gottvertrauen gibt ihm die Zuversicht, dass sein Versagen keine Sackgasse bedeutet, sondern es Wege darüber hinaus gibt. Mutig muss ich also nicht immer sofort sein. Ich kann auch erst einmal Luft holen, einen Schritt zurücktreten aus der aktuellen Situation und dann den Mut zum entschlossenen Handeln und zum Eintreten für meinen Glauben finden.
Mut ist uns folglich nicht immer in die Wiege gelegt. Aber wir können darauf hoffen, am entscheidenden Punkt dann doch mutig zu sein. Und wir können unsere Kinder zu mutigen Mitmenschen erziehen, die mitfühlen, Empathie empfinden, sensibel sind für Unrecht und bereit, für die Mitmenschlichkeit einzutreten. Das tun wir als Eltern, Paten, Lehrerinnen, Ausbilder, Freundinnen, Nachbarn. Sehnsucht nach Mut kann sich darin zeigen, dass wir anderen Mut machen. Und Sehnsucht nach Mut kann zum Tragen kommen, wenn ich im entscheidenden Moment eine Haltung einnehme wie die von Luther vor dem Reichstag in Worms. So manches Mal können wir nicht schon im Vorfeld bestimmen, dass wir mutig sein wollen, aber wir können und dürfen Mut als Geschenk erleben.
So habe ich es als inneren Mut christlicher Freiheit empfunden, nach drei quälenden Tagen der Frage nach dem eigenen Versagen, nach der Erfahrung von übler Häme und Spott, nach immer aberwitzigeren Spekulationen
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