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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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hatte er große Seidenkissen im Boot ausgelegt, auf denen es sich Ricky gemütlich machen konnte. Mit einem kräftigen Stoß stieß er sie vom Ufer ab und ruderte durch den immer enger werdenden Kanal, der vom Picholasee in den kleineren
und unbelebten Fateh-Sagar-See mündete. Ricky lehnte sich in den Kissen zurück und ließ sich den lauen Fahrtwind um die Nase wehen. Plötzlich richtete sie sich auf und sah Mukesh an.
    »Mein Vater will, dass wir schon bald alle nach Afrika zurückkehren«, sagte sie.
    »Nach Afrika?« Mukesh horchte auf. »Und warum?«
    »Es ist viel geschehen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben«, begann Ricky und dann erzählte sie ihm von dem Schlangenbiss und der als Folge einsetzenden rätselhaften Krankheit ihrer Mutter. »Mein Vater glaubt nun allen Ernstes, sie kann nur dort wieder gesund werden. Aber das ist Blödsinn. Ich werde auf keinen Fall in dieses schreckliche Land gehen.«
    Mukesh musste die Nachricht erst verdauen. Er spürte Trauer und schmerzvollen Verzicht, aber in einem entfernten Winkel seines Wesens auch eine gewisse Erleichterung. Ihre Liebe hatte von Anfang an keine Zukunft gehabt, das war ihm immer klar gewesen. Er hatte sich nicht verlieben wollen, aber dann war es doch geschehen …
    »Warum schweigst du?«, fragte Ricky verunsichert.
    »Ich denke über unsere Zukunft nach«, bekannte er. Sie strahlte.
    »Das tue ich auch die ganze Zeit. Ich werde nicht mit nach Afrika gehen. Ich werde hier in Indien bleiben, bei dir! Wir könnten fliehen und heiraten.«
    »Du willst, dass wir heiraten?«, fragte Mukesh völlig überrumpelt. »Aber das geht doch gar nicht. Du bist nicht volljährig. Und überhaupt …«
    »Das ist mir egal. Wir könnten auch in eine andere Stadt gehen und dort warten, bis ich alt genug bin.« Ihre Augen funkelten trotzig.
    Mukesh beugte sich zu ihr vor. Es kostete ihn Überwindung, das zu sagen, was er jetzt sagte:

    »Ich kann dich niemals heiraten«, meinte er bekümmert. »Jedenfalls nicht öffentlich. Ich bin ein Kshatriya; ich muss ein Mädchen aus meiner Kaste ehelichen, um nicht Schmach und Schande über meine Familie zu bringen. Mein Vater hat schon vor langer Zeit eine Frau für mich ausgewählt. In ein, zwei Jahren werde ich sie heiraten. So ist es vorherbestimmt.«
    »Das hast du mir nie gesagt!« Ricky schluckte schwer. »Heißt das, dass du mich gar nicht liebst?« Ihre Stimme klang verzweifelt.
    »Natürlich liebe ich dich«, entgegnete Mukesh heftig. Er versuchte, sie an sich heranzuziehen. Doch sie entzog sich ihm.
    »Dann geh mit mir fort«, forderte sie. »Liebe ist stärker als diese dummen Regeln. Du hast selber gesagt, dass das Kastenwesen ungerecht ist!«
    »Ich kann nicht mit dir fortgehen!« Er räusperte sich, um seine Worte wohl zu wählen. »In wenigen Tagen muss ich für längere Zeit verreisen. Ich weiß nicht, wann ich zurückkehre. Der Maharana hat mir einen wichtigen Auftrag übertragen, und ich habe mich bereit erklärt, ihn zu übernehmen. Durch meine Aufgabe werde ich vielleicht die Möglichkeit bekommen, für ein freies Indien zu kämpfen, ein Indien ohne Kastenwesen und ohne Bevormundung durch die Engländer. Nur wenn das gelingt, werden wir beide eine Zukunft haben!«
    »Das ist nicht dein Ernst! Dir ist die Freiheit Indiens wichtiger als unsere Liebe?« Ricky holte tief Luft. »Du hast die ganze Zeit nur mit mir gespielt. Du bist ein erbärmlicher Lügner. Ich hasse dich! Fahr mich sofort zurück!«
    Ricky richtete sich steif auf und sah ihn mit einem Blick an, der sein Herz beinahe zum Zerspringen brachte. Wie viel Kummer und zerstörte Hoffnung lag darin! Und er trug die Schuld daran. Mukesh schluckte schwer, nahm aber die Ruder wieder in die Hand. Es war richtig, was er tat. Er hatte keine andere Wahl. Und doch schmerzte ihn seine Entscheidung
mehr, als er es für möglich gehalten hatte. Wortlos tauchte er die Ruder in das dunkle Wasser und brachte sie zurück zum Ghat. Ricky vermied jeden Blickkontakt mit ihm. Noch ehe sie richtig angelegt hatten, sprang sie aus dem Boot und war grußlos in der Dunkelheit verschwunden.

    Nakeshi stand auf den Felsen von Erongo, unweit des Platzes, an dem sie ihrer Sternenschwester zum ersten Mal in der Hierwelt begegnet war. Ihr Gefühl sagte ihr, dass dies der richtige Ort war. Dieses Mal musste es gelingen! Die Sonne stand bereits im Zenit. Die Luft über dem Boden flirrte und verzerrte die Wahrnehmung. Eine Herde Zebras wurde von irgendetwas aufgeschreckt und

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