Sehnsucht nach Owitambe
setzte sich eilig in Bewegung. Die Hufe donnerten über die trockene Erde, während ihre gestreiften Körper mit der wogenden, heißen Luft zu einer wabernden Bewegung verschwammen. Die Buschmannfrau spürte, dass es ihrer Sternenschwester nicht gut ging. Sie litt mit ihr. Dieses Mal wollte sich nicht von den Llangwasi ablenken lassen, die das Gleichgewicht zerstörten, sondern sie wollte versuchen, zu Jella direkt durchzudringen. Es war gefährlich, was sie vorhatte, denn sie musste ihren Geist weit wegschicken. Außerdem war keiner ihrer Leute, der ein wenig Num besaß, in der Nähe, um sie wieder in die Hierwelt zu holen, falls sie in der Anderswelt verloren ging. Dennoch war sie bereit, es zu tun. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, um die Sternenschwester zurückzurufen.
Rickys Augen brannten von den vielen Tränen, die sie in ihrem Kummer vergossen hatte. Sie eilte die Treppen des Ghats hinauf und tauchte in die Gassen der Stadt ein, die sie mit ihren fröhlichen Geräuschen und dem Trubel bald verschluckten. Sie überlegte nicht, wohin sie lief, sie wollte nur weg. Weg
von Mukesh, dem Verräter, der innerhalb von wenigen Augenblicken ihre Liebe zerstört hatte. Die Enttäuschung saß wie ein Dolch in ihrem Herzen, der sich immer tiefer bohrte. Ihr Leben schien plötzlich sinnlos und leer. Immer tiefer drang sie in das Gewirr der Gassen vor, vorbei an feiernden Menschen, die ausgelassen das Glück von Lakshmi suchten, sei es mit Wetten, in der Lotterie oder in einer der Opiumhöhlen, die wenigstens für eine kurze Zeit versprachen, das tägliche Leid vergessen zu lassen. Einige Male wurde sie angerempelt und mit anzüglichen Bemerkungen belästigt. Die Leute hielten sie offensichtlich für eine Inderin. Unter normalen Bedingungen wäre Ricky schamrot angelaufen, doch an diesem Abend prallten alle Zoten an ihr ab wie Wasser von einem Wachstuch. Die Nacht war schon weit fortgeschritten, als sie auf eine Gruppe von Frauen stieß, die eine Lichterprozession bildeten. Sie blieb stehen, um sie an sich vorbeiziehen zu lassen, denn die Gasse war eng. Die Frauen tanzten ausgelassen zu Flöte und Tabla, aber nicht anmutig und grazil wie die Tänzerinnen aus dem Gurukulam, sondern lasziv und ausschweifend. Ihre schmalen Hüften vollführten obszöne Bewegungen, die Ricky unangenehm berührten, aber dann doch wieder ihre Neugier erregten. Ihr Blick blieb immer wieder an den Frauen haften. Deren ungewöhnliche Größe war mindestens ebenso auffallend wie die stark geschminkten Gesichter und die gelbgrünen Saris, die sie trugen. Ricky konnte sich keinen Reim darauf machen, denn sie hatte solche Frauen in ihrem gut behüteten Leben noch nie gesehen. Selbst Radhu, das Blumenmädchen, hatte ihr nichts davon erzählt. Plötzlich kam eine der Frauen auf Ricky zu und streichelte ihr mit einem langen, kräftigen Zeigefinger zärtlich über die Wange.
»Ich segne dich, mein Kind«, sagte sie freundlich. »Möge Lakshmi dir dein Glück zurückbringen.« Dann reichte sie ihr ein Öllämpchen und reihte sich wieder in die tanzende Gruppe ein. Die freundliche Geste riss Ricky tatsächlich für einen
Moment aus ihrem Kummer. Neugierig blickte sie den weiterziehenden Frauen nach und fand sich unversehens in ihrem Gefolge. Tanzend und singend bewegten sich die seltsamen Frauen in Richtung Süden, an der östlichen Palastmauer entlang, bis sie schließlich die Altstadt ganz verließen und einen kleinen Hügel bergan stiegen, wo die Häuser einiger wohlhabender Kaufleute standen. Eines der ummauerten Häuser war besonders hell beleuchtet. Fenster und Türen waren mit Lichtern und Blumengirlanden ausgeschmückt, während ein riesiges, buntes Kolam kunstvoll den Eingangsbereich schmückte. Musik und Gelächter drang aus seinem Innern, und immer wieder konnte man Hochrufe und Gratulationen hören. Die Gruppe der Frauen marschierte direkt durch das ummauerte Eingangstor auf den Vorplatz vor dem Haus und begann seinerseits laute Musik zu machen. Ricky musste sich die Ohren zuhalten, so falsch und jaulend klangen die Töne. Die Frauen lachten und riefen immer wieder den Namen des Hausherrn.
»Dhirendra, Fürst der Tapferen, komm heraus«, skandierten sie. Lange Zeit geschah nichts. Schließlich erschien der Hausherr, ein nicht mehr ganz junger, ziemlich feister Mann mit schwarzem Schnurrbart und kostbaren Gewändern. Um seinen Hals hing eine gelbe Blumengirlande.
»Was wollt ihr?«, rief er ziemlich ungehalten. Er war auf der obersten Treppe
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