Sehnsucht nach Owitambe
Zuversicht, dass sie nicht allein war. Sie hatte immer noch ihre Leute, die sich über ihre Rückkehr freuen würden. Und da war Jella, deren Geist den ihren berührte und die immer für sie da war. Sie war fest entschlossen, Bô darüber zu vergessen.
Sie griff nach ihren Habseligkeiten und beschloss, von nun an achtsamer mit ihrem Leben umzugehen. In der nächsten Nacht würde sie ein Feuer gegen die wilden Tiere anzünden. Dann entdeckte sie die tote Agame neben sich. Der schlaffe Körper war noch warm. Argwöhnisch sah sie sich um. Wie war die Echse dorthin gekommen? Wie war sie gestorben? Sie hielt nach Spuren Ausschau, aber rund um ihren Lagerplatz konnte sie keinerlei Anzeichen von Menschen erkennen.
»Twi?«, rief sie verunsichert. Möglich, dass Chuka ihren Bruder geschickt hatte, um sie zurückzuholen. Niemand antwortete. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.
»Zeig dich, Gwi«, rief Nakeshi. Vielleicht trieb der boshafte
Geist ein Spiel mit ihr? Sie untersuchte das tote Tier, aber es sah weder krank noch gefährlich aus. Allem Anschein nach war es zufällig neben ihr gestorben. Wie auch immer. Die Agame war noch nicht lange tot und würde ihr Kraft für ihren weiteren Marsch bescheren. Also suchte sie Feuerholz und briet sich das Tier. Gestärkt und in wesentlich besserer Verfassung als am Vortag setzte sie endlich ihren Weg fort. Schon bald hatte sie die letzten Dünen hinter sich gelassen und durchwanderte eine hügelige Schotterlandschaft, die mit einzelnen großen Bäumen durchsetzt war. Die Gegend war karg und tierarm. Nur einmal entdeckte Nakeshi in der Ferne zwei Giraffen, die ihre langen Hälse in die Bäume steckten, um sich an den jungen Trieben gütlich zu tun. Noch hatte sie genügend Proviant in ihrem Lederbeutel, aber bald würde sie für neues Essen sorgen müssen. Immer wieder hielt sie nach Anzeichen von Feldkost Ausschau. Einmal fand sie eine Winkga-Schlingpflanze und grub ihre rübenartige Wurzel aus, die ihr bei den Weißen den Namen »Buschkartoffel« gegeben hatte. Das würde eine wohlschmeckende Mahlzeit geben. Sie verstaute sie in ihrer Tasche und richtete sich auf. Als sie sich noch einmal umschaute, nahm sie in der Ferne den Schatten einer Gestalt wahr. Mit einer Hand beschirmte sie ihre Augen und versuchte mehr zu erkennen. Der Art nach, wie sich der Schatten bewegte, musste es sich um ein größeres Tier handeln. Höchstwahrscheinlich ein Raubtier, weil es sich geschickt verbarg. Hatte es schon ihre Witterung aufgenommen?
Nakeshi überlegte fieberhaft, was sie tun konnte. Gut möglich, dass es sich um einen Wüstenlöwen handelte, einen Einzelgänger. Bestimmt war er hungrig. Eine Frau allein gegen einen hungrigen Löwen, nein, das sah gar nicht gut aus. Eilig raffte sie ihre Sachen zusammen und versuchte einen möglichst großen Abstand zwischen sich und den Schatten zu bringen. Sie war eine ausdauernde Läuferin, während Löwen immer
wieder Pausen einlegen mussten. Dennoch würde sie sich eine Waffe herstellen müssen. Gut, dass sie noch etwas Raupengift in ihrem Beutel hatte. Im Lauf hielt sie Ausschau nach einem geeigneten Stück Holz. Sie fand schließlich einen langen, einigermaßen geraden Ast, den sie zu einem Speer machen konnte. Er lag schwer in der Hand und würde sich gut werfen lassen; sie musste ihn nur noch vorn anspitzen. Allerdings wollte sie keine Zeit verlieren. Je größer der Abstand zwischen ihr und dem Raubtier war, desto bessere Aussichten hatte sie, dass es die Verfolgung aufgab. Während sie weiterlief, versuchte sie mit dem Messer, das Jella ihr zum Abschied geschenkt hatte, den Speer zu vollenden. Es gelang nicht sehr gut, aber schließlich fand sie ihn spitz genug, um sich damit notfalls zur Wehr setzen zu können. Immer wieder huschte ihr Blick zurück an den Horizont. Noch einmal glaubte sie etwas zu sehen, was ihre Schritte noch schneller werden ließ. Nur wenige Stunden früher hätte sie die Situation ganz anders bewertet. Doch jetzt hing sie an ihrem Leben. Ihre Lungen brannten von dem schnellen Lauf, und sie sehnte sich nach einer kurzen Pause. Doch das Raubtier war immer noch hinter ihr. Die Sonne würde bald untergehen. Sie musste sich für die Nacht nach einem Baum umsehen. Löwen kletterten nicht gern. Zwar hatten die meisten auch vor Feuer Angst, aber Nakeshi wollte den Löwen nicht auf die Probe stellen. Es war gut möglich, dass sein Hunger noch größer war als seine Angst. Sie brauchte lange Zeit, bis sie endlich einen
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