Sehnsucht nach Owitambe
sein.«
Fritz konnte nicht glauben, was er da hörte. Erregt wie er war, bemerkte er nicht, wie sich eine Hand an seinem Unterschenkel
zu schaffen machte und sein Jagdmesser aus dem Schaft zog. Als er es zur Kenntnis nahm, war es bereits zu spät. Nancy hob das Messer und stürzte sich mit einem wilden Schrei auf den jungen Nachtmahr. Bevor Fritz von seinem Pferd gesprungen war, hatte sie den jungen Mann bereits erreicht. Ihr Gesicht war zu einer wahnsinnigen Fratze verzerrt. Irr vor Schmerz und Verzweiflung stach sie dem jungen Nachtmahr von unten in den Bauch. Die Verzweiflung des Augenblicks verlieh ihr ungeahnte Kräfte, als sie mit dem Messer durch seine Bauchdecke hindurchfuhr und es wie beim Aufbrechen von Wild nach oben riss. Ein Schwall Blut färbte die Uniformjacke rot, während sie sich gleichzeitig von den herausquellenden Eingeweiden ausbeulte. Nancy stieß erneut zu, wie getrieben. Fritz war als Erster bei ihr und riss sie am Arm zurück. Achim von Nachtmahrs Gesicht war immer noch vom Triumph seiner eigenen Schandtat gezeichnet, als er mit einem beinahe erstaunten Blick an sich herabsah. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann trübte sich urplötzlich sein Blick und er rutschte mit einem gurgelnden Stöhnen vom Pferd. Außer Fritz hatte keiner der anderen reagiert. Baron von Nachtmahr saß wie gelähmt auf seinem Pferd. Überraschung, Entsetzen und Fassungslosigkeit spiegelten sich auf seinem Gesicht wider, bevor es zu einer harten Maske erstarrte. Mechanisch, wie in Zeitlupe, griff er nach seinem Gewehr und zielte damit auf Nancy. Fritz gelang es gerade noch, sich und die Frau aus der Schusslinie zu ziehen, bevor der erste Schuss losging. Bevor Nachtmahr nachladen konnte, stürzte sich Fritz auf ihn und fiel ihm in den Arm.
»Hören Sie um Gottes willen auf«, rief er erregt. »Es ist genug Blut geflossen!« Nachtmahr rangelte um sein Gewehr, doch Fritz gelang es trotz seiner Behinderung, es ihm zu entreißen. In hohem Bogen schleuderte er es davon. Einer der Schutztruppenoffiziere hielt Nachtmahr davon ab, seinen Revolver zu ziehen. Er wurde wütend, ließ sich jedoch schließlich beruhigen.
Erstaunlich gefasst stieg er endlich von seinem Pferd, um nach seinem Sohn zu sehen. Achims Augen starrten leblos in den Himmel. Statt sie zu schließen, blieb Nachtmahr vor ihm stehen und betrachtete den Leichnam mit einer Spur von Verachtung. Selbst im Tod war er nicht fähig, seinem Sohn gegenüber die Gefühle zu zeigen, die er möglicherweise für ihn empfunden hatte. Die anderen Soldaten saßen unschlüssig auf ihren Pferden und warteten auf einen Befehl. Vorsichtshalber hatten sie ihre Gewehre im Anschlag und versuchten, der Situation Herr zu bleiben. Auch Rajiv hatte seine Waffe gezogen. Doch keiner der Herero unternahm einen neuen Fluchtversuch. Fritz stellte sich schützend vor Nancy, die jetzt völlig apathisch neben ihm stand, als ginge sie die ganze Sache nichts an. Endlich wandte sich Nachtmahr um. Ohne seinen toten Sohn weiter zu beachten, trat er vor Fritz. Funkelnder, aus dem Verlust geborener Hass leuchtete aus seinen dunklen Augen, während seine Stimme merkwürdig kalt und nüchtern klang:
»Herr van Houten, Sie sind festgenommen.«
Fritz schüttelte verständnislos den Kopf. »Baron von Nachtmahr, ich verstehe Ihren Schmerz. Es …«
»Sie verstehen gar nichts«, zischte Nachtmahr, dessen Stimme sich mit unverhohlenem Hass füllte. »Sie sind ein kaltblütiger Mörder, ein elender Kollaborateur und Negerfreund. Ich werde Sie in Okahandja dem Kriegsgericht überstellen.« Er winkte zwei seiner Männer heran. »Fesselt den Mann. Er ist gefährlich.«
»Das können Sie nicht tun!«, protestierte Fritz. »Ich habe nichts getan!«
Von Nachtmahr fuhr herum. »Nichts getan?«, presste er mit geballten Fäusten hervor. »Sie sind schuld, dass mein Sohn tot ist. Und dafür werden Sie bezahlen. Dafür sorge ich, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«
Einen kurzen Moment lang spielte Fritz mit dem Gedanken,
einfach auf sein Pferd zu springen und zu fliehen. Doch dann musste er einsehen, dass die Soldaten im Vorteil waren. Außerdem würde Nachtmahr seine Wut dann direkt an den Herero auslassen. Zähneknirschend ließ er sich Handschellen anlegen und vertraute darauf, in Okahandja an höherer Stelle schnell Gerechtigkeit zu erfahren.
Der Morgen war ungewöhnlich schwül für diese Jahreszeit. Eine gelbliche Dunstglocke lag über dem Land, die das Sonnenlicht nur gefiltert auf
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