Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Malu die Waschtage. An diesen Tagen blieb der Liegestuhl unter dem Apfelbaum leer, denn die Mutter konnte den Gesang der Wäscherinnen nicht ertragen.
Wenn gewaschen wurde, gelang es nicht einmal Johann, Malu zum Spielen zu überreden, und auch Frau Mohrmanns Streuselkuchen lockte sie nicht. Schon Tage vorher durfte Malu der Hofmutter helfen, die Seifenlauge herzustellen. Mit einem Korb in der Hand durchstreifte sie mit Ilme die Wiesen auf der Suche nach Seifenkraut. Danach sah sie zu, wie die Waschfrauen, die extra zum Waschen aus dem Dorf aufs Gut gekommen waren, unter Gesang die Wurzeln in Stücke schnitten und zum Trocknen auslegten. Ilme, die die Lauge aus Seifenkraut für die feinen Kleider von Malus Mutter brauchte, überwachte jeden Arbeitsschritt, kochte dabei eine deftige Pilzsuppe mit Speck und sang mit ihrer brüchigen Stimme die Strophen der Waschlieder mit. Wenn die Wurzelstücke getrocknet waren, füllte Malu sie in ein Säckchen und hängte es in einen Kessel. In diesem Sud wurden später die Kleider und Wäsche ihrer Mutter geweicht. Während der Sud zog, durchstöberte Ilme alle Truhen und Schränke im Haus und wählte die Wäschestücke aus, die zu reinigen waren. Anschließend bereitete sie für die weiße Leinenwäsche und die Tisch-, Bett-und Nachtwäsche eine Brühe aus schwarzbraunen Kornrade-Samen zu. Manchmal fuhr sie Malu an, wenn die Kleine mit ihren Händchen in der giftigen Brühe planschen wollte. Zum Schluss stellte Ilme noch eine Brühe aus Efeublättern her, die für die dunkle Wäsche gedacht war, weil Efeu, wie sie Malu erklärte, die Farben auffrischte.
Der Waschtag selbst begann im Morgengrauen. Von diesem Zeitpunkt an stand Ilme mit geschürzten Röcken, aufgekrempelten Ärmeln und ihrem weißen Kopftuch am Waschzuber in der Waschküche, wo ihr ein Dutzend Frauen aus dem Dorf halfen. Zu Mittag gab es auf dem Gut nur einen Eintopf, weshalb es Wolfgang von Zehlendorf meist so einrichtete, dass er mit seinem Verwalter Schwarzrock nach Mitau fuhr, um dort im Goldenen Schwan Pelmeni – mit Schweinefleisch gefüllte Teigtaschen – in ungeheuren Mengen zu essen.
Während die Frauen zwischen Waschstube und Trockenplatz hin- und hereilten und die ersten Bügeleisen auf den heißen Herd stellten, saß der Gutsherr nach dem Mittagessen mit dem Verwalter in seiner Mitauer Stammkneipe. Dort diskutierte er mit Gleichgesinnten über die politische Weltlage, die nationalen Getreidepreise und das regionale Wetter. Wenn die Frauen am Abend die saubere und gebügelte Wäsche zwischen Leinensäckchen mit Lavendel in Truhen und Schränken verstauten, sangen der Gutsherr und sein Verwalter bierselig in der Kutsche Trinklieder, und der Kutscher gab den Takt mit der Peitsche dazu.
An diesen Tagen vergaßen die Erwachsenen die Kinder, und Malu konnte so lange aufbleiben, bis die letzte Waschfrau gegangen war. Vorher wurde sie in einen Zuber mit heißem Wasser auf den Hof gestellt und von ihrer Kinderfrau abgeschrubbt. War noch Zeit, so spülte ihr Marenka das Haar mit Kamille, war Eile geboten, wurde Malu nur mit einem Eimer Wasser übergossen, eingeseift und abgespült wie ein Wäschestück.
Arbeit und Spiel, Sonne, Staub und Tiere – das war Malus Gut Zehlendorf.
Gut Zehlendorf – das waren für Ruppert der Kricketplatz, der Tenniscourt und die Fliederlaube, dazu kamen vielleicht noch die Sammlung Majolika, die in Glasschränken ausgestellt wurde, und die Ahnengalerie, die sich an den Treppenwänden entlang nach oben zog.
Als der Sommer zur Neige ging, waren Malus Haare strohblond gebleicht, ihre Arme und Beine braun gebrannt und von Kratzern übersät. Ruppert hingegen war noch immer blass wie ein Fischbauch, hatte stets reine Hände und manikürte Nägel. Und während seine Schwester bedauerte, dass es immer kühler wurde, war er glücklich, den heißen, langweiligen, sonnendurchglühten, schläfrigen Tagen endlich entkommen zu sein.
Die ersten Herbststürme bogen die Birken vor dem Haus und rissen an ihren Blättern, als Wolfgang von Zehlendorf es wagte, seine Frau um ein Gespräch zu bitten.
»Die Kinder müssen zur Schule«, erklärte er, während er sich ihr gegenüber in den Sessel setzte. »Ruppert ist überfällig. Sieben Jahre ist er, beinahe ein Jahr zu spät schon, während Malu noch etwas Zeit hat, sie ist immerhin zwei Jahre jünger als Ruppert. Wir müssen ihn endlich auf ein Internat schicken. Ich habe an Riga gedacht. Das ist nicht zu weit; er kann so manches Wochenende,
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