Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
stolze Frau. Also haben wir geheiratet. Wenn schon mein sehnlichster Wunsch sich nicht erfüllen konnte, so sollte wenigstens sie glücklich sein.«
»Ich verstehe«, sagte Malu leise. »Wie ist sie? Ist sie hübsch?«
Janis zuckte mit den Schultern. »Sie ist eine gute Frau. Und sie ist eine gute Mutter.«
»Dein Kind? Ein Junge oder ein Mädchen?«
»Ein Junge.«
Malu sah es nicht, aber sie spürte, dass Janis lächelte. »Er heißt Anslavs, nach seinem Großvater. Aber jetzt genug von mir. Erzähl mir von dir, von deinem Leben in Berlin, von meiner Schwester.«
Malu seufzte. Sollte sie Janis wirklich sagen, dass sie sich Sorgen um Constanze machte? Nein, sie wollte diesen wunderbaren Abend nicht zerstören. Nicht jetzt.
»Es geht ihr gut. Sie arbeitet für mich, und sie hat viele Freunde gefunden. Das Haar hat sie sich schneiden lassen. Du würdest sie nicht wiedererkennen. Sie sieht aus wie eine Berlinerin.«
»Ist sie glücklich?«
Malu erwiderte nichts.
»Sie ist also unglücklich«, schloss Janis daraus.
»Nein, das ist sie nicht«, widersprach Malu. »Vielleicht hat Constanze kein Talent zum Glück. Am hellsten Sommerhimmel entdeckt sie noch eine Wolke. Aber sie fühlt sich wohl, sie tut, was sie möchte. Was will man mehr?«
»Ja«, bestätigte Janis. »Was will man mehr?«
Eine Zukunft, dachte Malu. Eine gemeinsame Zukunft mit dir. Mehr will ich nicht.
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Berlin, 1923
N achdenklich blickte Malu aus dem Fenster, während der Zug auf den Berliner Bahnhof zurollte.
Sie war länger in Riga geblieben, als sie vorgehabt hatte. Nicht wegen der Stickvorlagen. In kurzer Zeit hatte sie so viele Stickwaren und Bordüren erworben, dass sie damit den Koffer und zudem eine Truhe vollpacken konnte. Nein, sie war wegen Janis geblieben.
Er konnte nur drei Tage bleiben, doch diese drei Tage kosteten sie aus. Sie liebten sich, redeten stundenlang miteinander, gingen in der Abenddämmerung am Ufer der Düna spazieren. Dabei erfuhr Malu zu ihrer Bestürzung, dass Janis’ und Constanzes Eltern kürzlich verstorben waren – beide innerhalb von wenigen Tagen.
Für Malu war die Zeit mit Janis wie ein wundervoller Traum. Doch am Morgen des vierten Tages musste Janis fahren. Er hatte Tränen in den Augen, als er sich verabschiedete. »Es ist so schwer ohne dich«, sagte er leise. »Das Leben ist so schwer ohne dich. Aber ich muss zurück. Ich habe Frau und Kind, Verpflichtungen.«
Dann wandte er sich ab und zog leise die Tür hinter sich ins Schloss.
Malu blieb mit hängenden Armen zurück und fühlte sich, als hätte er ihre Seele mitgenommen. Sie suchte noch einige Geschäfte auf, doch sie konnte sich auf nichts konzentrieren. Ohne Janis erschien ihr Riga auf einmal trostlos und feindlich.
So packte sie am Abend ihre Sachen, begab sich bereits Stunden vor Abfahrt des Zuges zum Gleis und fuhr dann in der Nacht zurück nach Berlin.
Als sie in Berlin ankam, wartete niemand auf dem Bahnsteig auf sie. Wie sollte auch? Sie hatte keinen von ihrer Ankunft unterrichtet.
Malu winkte eine Droschke herbei, ließ ihr Gepäck aufladen und sich zu ihrer Wohnung fahren. Es war noch sehr früh am Morgen. Die Geschäfte waren noch geschlossen. Einzig die Bäcker und Milchläden hatten geöffnet. Männer in grauen Hosen schleppten sich müde zur Arbeit, Frauen legten die Federbetten in die Fenster oder kehrten die Straße. Ansonsten war alles still.
Malu sah an ihrem Haus hoch. Vor Constanzes Fenster waren die Vorhänge noch geschlossen. Malu atmete auf. Wenigstens ist sie da, dachte sie.
Der Droschkenkutscher, ein noch junger Mann, stand mit einem Teil des Gepäcks hinter ihr.
»So, mein Frollein. Da wär’n wir. In welches Stockwerk darf ick die Sachen denn trachen?«
Malu riss sich los. »In den zweiten, bitte.«
Mit einem Seufzen betrachtete der Kutscher die zahlreichen Gepäckstücke. »Na, denn wolln wir mal.«
Malu gab ihm ein reichliches Trinkgeld, dann atmete sie einmal kräftig durch und steckte den Schlüssel ins Schloss. »Hier ist mein Leben«, beschwor sie sich selbst. »Hier gehöre ich hin. Hier ist meine Zukunft.«
Sie wollte nicht weinen, hatte Janis versprochen, es nicht zu tun, aber sie hätte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, wieder von ihm getrennt zu sein. Ihre Haut schrie nach seinen Berührungen. Ihr Mund lechzte nach seinen Küssen, ihre Seele zitterte ohne seinen Schutz und seine Worte. Sie fühlte sich, als existiere sie ohne ihn nicht. Malu seufzte,
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