Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Gesicht. Um die Augen hatten sich ein paar Fältchen eingegraben. Sein Haar trug er jetzt kürzer, doch die Augen waren noch immer so trüb wie damals, als er aus dem Krieg zurückgekehrt war. Sie spürte seinen Blick auf sich, erkannte ein winziges Funkeln darin.
»Du siehst wunderschön aus, Malu«, sagte er leise. »Wie eine Dame.« Er schüttelte den Kopf, errötete leicht. »Was rede ich da! Du bist ja eine Dame. Eine Freiin sogar.«
Malu konnte sich noch immer nicht rühren. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und das Herz schlug heftig gegen ihre Rippenbögen.
»Komme ich ungelegen?«, fragte Janis wieder, wartete aber die Antwort nicht ab. »Verzeih, es war kein guter Einfall von mir, einfach nach Riga zu kommen. Du hast natürlich zu tun, bist sicherlich verabredet.« Er setzte sich die Mütze wieder auf und hob die Hand. »Es war schön, dich gesehen zu haben, Malu. Lass es dir weiter gut ergehen, und pass auf dich auf!«
Er drehte sich um und griff nach der Klinke. In diesem Augenblick fand Malu endlich ihre Sprache wieder. »Geh nicht!«, rief sie so laut, dass sie über ihre eigene Stimme erschrak. »Bleib hier, Janis. Ich bitte dich!«
Als er sich umdrehte, flog sie auf ihn zu, flog ihm in die Arme, die er weit ausgebreitet hatte, flog ihm an die Brust, und ihre Lippen fanden die seinen. Ihre Haut hatte ein besseres Gedächtnis als sie selbst, dachte sie später. Ihre Münder erkannten sich, als wären sie Zwillinge. Seine Haut unter ihren Händen war ihr so vertraut, so lieb und teuer, dass sie sich fragte, wie sie das jemals vergessen konnte. Janis roch, wie er immer gerochen hatte. Nach dem Land, nach frisch gemähtem Gras und ein ganz klein wenig nach Kuhstall. Und seine Hände: Sie waren noch immer rau und stark, geschaffen dafür, zu halten und zu schützen.
Sanft strich er ihr über den Rücken, löste seine Lippen von ihrem Mund. »Malu«, flüsterte er. »Malu. Mein Licht. Mein Leben.«
Und sie umklammerte ihn mit beiden Armen, presste sich, so fest sie nur konnte, gegen seinen Leib. Mit einem Mal erkannte Malu, was ein Zuhause war. Es war kein Ort, war weder Riga noch Mitau, noch Berlin. Nicht einmal Zehlendorf war das Zuhause. Janis war es. Sein Leib, sein Atem, seine Liebe. Warum hatte sie das nicht eher erkannt? Jetzt war es zu spät.
Janis hielt sie in den Armen, flüsterte heiße Worte an ihrem Hals, und doch war er verloren für sie. Er war verheiratet, lebte mit einer anderen Frau und hatte ein Kind mit ihr. Warum hatte er nicht auf sie gewartet? Warum hatte er sie überhaupt gehen lassen? Malu kannte die Antwort. Sie war es gewesen, die unbedingt hatte gehen wollen. Nichts hatte sie halten können. Aber sie hatte nicht gewusst, was sie aufgab, als sie Janis verließ.
»Ich bin so froh, dass du gekommen bist«, flüsterte sie an seiner Brust.
»Und ich bin so froh, dich zu sehen«, raunte er zurück. »Es gab keinen Tag, an dem ich nicht an dich gedacht habe.«
Er schob sie ein kleines Stück von sich und umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen. »Mein Licht«, sagte er. »Mein Leben.«
Und mit einem Schlag war jeder Gedanke an Janis’ Frau und sein Kind verschwunden. Mit einem Schlag gab es nur noch sie beide.
Später lagen Malu und Janis nebeneinander auf dem knarrenden Hotelbett. Malu hatte ihren Kopf auf Janis’ Brust gelegt. Sie konnte sich nicht darauf besinnen, wann sie sich zum letzten Mal so wohl und wunschlos glücklich gefühlt hatte.
»Hast du jemanden in Berlin?« Janis’ Stimme klang spröde.
»Nein. Da ist niemand. Ich habe gearbeitet, immer nur gearbeitet.« Sie hob den Kopf, sodass sie seine Augen sehen konnte. »Ich glaube, es gibt nur eine einzige wahre Liebe im Leben. Alles, was danach kommt, wird an ihr gemessen. Und nichts scheint gut genug zu sein. So ging es mir jedenfalls in Berlin. Ich habe alle Männer an dir gemessen. Aber niemand war wie du.«
Janis strich ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht. »Ich bin dein. Ich war es immer und werde es immer sein.«
Malu hatte sich fest vorgenommen, nicht zu fragen, aber nun brannten die Worte in ihrer Kehle. »Und deine Frau?«
»Marija?«
»Heißt sie so?«
Janis nickte. »Sie war da, verstehst du? Als du weggingst, waren meine Tage so furchtbar dunkel. Ich dachte, ich könnte niemals wieder lächeln. Und dann kam Marija. Sie hat mir auf dem Gut geholfen. Sie brachte mich zum Lächeln. Manchmal. Ich war ihr dankbar dafür. Die Leute im Dorf fingen an zu reden. Marija litt darunter. Sie ist eine
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