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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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warst nicht schwanger, als wir uns das letzte Mal gesehen haben. Und nun hast du eine Tochter.«
    »Ja«, erwiderte Malu einfach. Sie wollte nichts erklären, und sie wusste, dass Janis nicht weiter fragen würde.
    »Bist du glücklich?«, fragte er und sah auf.
    Malu erkannte an diesem Blick, dass sein Leben lange nicht so perfekt war, wie es schien. Ich leide, sagte sein Blick. Jeden Tag aufs Neue. Wenn ich erwache, liegt Marija neben mir, nicht du. Wenn ich meinen Sohn in den Armen halte, dann sieht er mich mit den Augen seiner Mutter an, und es sind nicht deine Augen. Und wenn ich am Abend nach Hause komme, dann wartet Marija auf mich und nicht du.
    Malu zuckte mit den Schultern. »Glücklich? Was heißt das schon? Ich lebe. Ist das nicht genug?«
    Janis blickte ihr tief in die Augen. »Nein. Das ist nicht genug. Ich dachte es viele Jahre lang. Aber jetzt, da ich dir gegenübersitze, weiß ich, dass es nicht genug ist.« Er stand auf, nahm sie bei der Hand, zog sie hoch. »Komm!«
    Und Malu fragte nichts und sagte nichts. Sie folgte ihm blind. Sie wäre ihm überallhin blind gefolgt, doch er führte sie nur in das Hotelzimmer. Stumm zog er sie aus, strich mit geschlossenen Augen und mit beiden Händen über ihren Körper, als wollte er sich jede Wölbung für immer einprägen. Seine Hände umfassten ihr Gesicht, sein Daumen fuhr die Linien ihres Mundes nach. Er löste ihr Haar, verbarg sein Gesicht darin, und Malu spürte am Zucken seines Körpers, dass er weinte.
    Gleich am nächsten Morgen fuhr Malu nach Riga zurück. Die ganze Fahrt über dachte sie an Janis und daran, wie sich ihr Leben an seiner Seite wohl entwickelt hätte. Wäre sie vor lauter Liebe dazu gekommen, Kleider zu entwerfen, die man im Berliner KaDeWe kaufen konnte? Wäre sie mit Janis immer nur seine Frau gewesen und nicht selbstständig, wie sie es jetzt war? Hätte sie ihn viel mehr geliebt als sich selbst? War der Preis einer großen Liebe die Selbstaufgabe? Aber warum dachte sie dann daran, David zu heiraten?
    Sie beantwortete sich die letzte Frage selbst: Sie konnte mit David Salomonow die Ehe eingehen, weil sie ihn nicht liebte. Noch heute Abend würde sie seinen Antrag annehmen und dann so schnell wie möglich seine Frau werden.
    Als sie später in die Màrstalu iela einbog, sah sie es schon von Weitem. Die Fenster ihres Ladens waren zerbrochen, die Fassade mit Ruß geschwärzt. Im Rinnstein lagen ein paar Stoffballen, und das Gerippe einer Nähmaschine hing halb aus dem Schaufenster heraus. Malu schrie auf, presste sich eine Hand vor den Mund.
    »Viola!« Sie rannte, als gelte es ihr Leben. Sie dachte nichts dabei, fühlte nichts, sie rannte nur, rannte nicht zu ihrem Laden, sondern einzig und allein zu ihrem Baby, zu Viola.
    Ihre Wohnungstür war aufgebrochen, überall waren Spuren von Löschwasser zu sehen. Die Wiege war umgekippt, und Violas Sachen lagen verstreut auf dem Boden.
    Malus Herzschlag setzte aus. »Viola!« Sie rief erneut den Namen ihres Kindes. »Viola!« Es war ein Flehen, eine dringliche Bitte an den Himmel, sie mit dem Schlimmsten zu verschonen. »Viola!«
    Dann verließ sie die Kraft. Sie sank auf die Knie, krümmte sich zusammen, wiegte sich und flüsterte den Namen des Kindes wie ein Mantra.
    Sie hörte die Schritte nicht, die die Treppe hinaufkamen. Erst als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte, nahm sie durch den dichten Nebel des Schmerzes wahr, dass sie nicht mehr allein war.
    »Malu, steh auf. Es ist vorbei. Alles wird gut.«
    Sie erkannte Davids Stimme, wandte sich um und blickte mit leeren Augen zu ihm hoch. Den Namen ihrer Tochter konnte sie nur noch flüstern: »Viola?«
    David hockte sich neben sie, ungeachtet der Nässe und des Rußes. »Sie ist bei meiner Mutter. Es geht ihr gut. Meine Mutter ist ganz verrückt nach Kindern. Die Kleine lacht, sie hat nichts mitbekommen.«
    Malu presste eine Hand auf ihr Herz, schloss für einen Augenblick die Augen und stöhnte auf. Dann fasste sie nach Davids Hand. »Heirate mich!«, sagte sie. »Heirate mich so schnell als möglich.«
    David strahlte. Er hielt sie umfangen zwischen feuchten Wänden und kaltem Rauch, küsste sie sanft und sagte: »Mit dem größten Vergnügen.«
    Erst Tage später erfuhr Malu, dass das Feuer gelegt worden war. Jemand hatte einen Brandsatz durch die Scheiben geworfen. Viola war zu dieser Zeit bei der Kinderfrau gewesen. Ein Nachbar hatte die Feuerwehr gerufen, die Polizei hatte ermittelt, jedoch ohne großes Interesse und

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