Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
bessere Klinik, eine, in der ihr geholfen wird. Das hätte längst so sein sollen. Aber in Berlin hat sie sich gegen alles gewehrt. Was meinst du dazu, David?«
Salomonow schwieg und lächelte nur. Aber es war ein gutes Lächeln, ein Lächeln, das ihr sagte: Ich bin für dich da. Was immer du vorhast, ich werde dir helfen.
»Wohin gehen wir?«, fragte sie.
»Nur noch um eine Ecke, dann sind wir da.«
Malu sah sich um. Die Gegend hier lag nicht im Stadtzentrum, aber doch so nahe, dass ihnen viele Leute mit vollgepackten Taschen entgegenkamen.
»Willst du mich zu einem Frühstück einladen?«
Malu wurde langsam ungeduldig, doch David lächelte noch immer.
Sie bogen um die Ecke, und Malu staunte, wie belebt der Boulevard war. Autos fuhren und hupten, eine Straßenbahn kreischte in den Schienen. Laden reihte sich an Laden, Geschäft an Geschäft. Es gab hier Lebensmittelhändler in Hülle und Fülle, ein Möbelgeschäft, daneben eine Buchhandlung und ein kleines, gemütlich wirkendes Weinkontor.
Zeitungsjungen rannten laut rufend an ihnen vorüber, ein Schuhputzer bot seine Dienste an, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite kontrollierte ein Mann in Arbeitskleidung die Gaslaternen.
Plötzlich blieb David stehen. »Hier ist es!«, sagte er.
Malu riss den Mund auf, stand wie versteinert, rang nach Luft. Dann fiel sie David um den Hals und küsste ihn auf offener Straße. »Das ist nicht wahr, David!«
Über einem Schaufenster stand in goldenen Buchstaben ihr Name »Malu«.
Sie hielt sich an David fest, weil die Freude ihr die Knie weich gemacht hatte. An seiner Seite betrat sie das Ladengeschäft und sah sich vorsichtig um, als wate sie durch einen Traum, der durch ein Blinzeln beendet werden könnte.
Da waren sechs Nähmaschinen, an denen Frauen saßen und eifrig nähten. Eine Schneiderpuppe wurde von einer älteren Frau so aufgestellt, dass das Tageslicht gut darauf fiel.
Ein Mädchen sortierte Stoffballen in ein Regal, ein anderes ordnete Knöpfe und Spitzen nach Mustern und Beschaffenheit.
»Willkommen bei ›Malu‹«, flüsterte David.
Malu wirbelte herum. »Ich danke dir. Ich danke dir so sehr.«
Vierunddreißigstes Kapitel
Riga, 1926
M alu saß an der Nähmaschine und seufzte. Das Kleid, an dem sie gerade arbeitete, musste bis morgen Abend fertig werden. Morgen Abend wurde das Pessachfest gefeiert. In ihrem Haus. Knapp zwanzig Personen hatten sie eingeladen, nicht alle davon waren Juden. Und Malu wollte schön sein, vor allem für David. Er sollte stolz sein auf sie – stolz vor den anderen.
Malu hatte seit der Hochzeit hart gearbeitet. Und sie war sehr erfolgreich gewesen. Hatte sie in Berlin zwei Jahre gebraucht, um sich einen Namen zu machen, so schaffte sie es hier in einem.
Malu war glücklich. Glücklicher, als sie je zu hoffen gewagt hatte. Sie mochte David und war gern mit ihm zusammen. Inzwischen hatten die beiden auch ein gemeinsames Kind: einen Sohn namens Daniel. Sie hielt David für einen großartigen Arzt, einen wunderbaren Vater und Ehemann. Manchmal beschlich sie ein schlechtes Gefühl, weil das, was sie für ihren Mann empfand, keine Liebe war. Keine Liebe, wie sie zwischen Mann und Frau sein sollte. Malu liebte David wie einen Bruder. Von ganzem Herzen und mit ganzer Kraft. Und doch hatte sie nach einem Jahr Ehe schon durchgesetzt, dass jeder von ihnen sein eigenes Schlafzimmer besaß.
»Du wirst so oft nachts zu deinen Patienten gerufen«, hatte sie ihre Entscheidung begründet. »Ich werde davon wach, und auch die Kinder finden nur schlecht wieder in den Schlaf. Es ist besser, sie schlafen mit mir in einem eigenen Raum.«
Und David hatte genickt. Wie immer. Doch seine Augen waren dunkel vor Traurigkeit gewesen.
Malu hatte es sich verboten, an Janis zu denken. Und doch verging kein Tag, an dem sie es nicht tat. In der Rigaer Zeitung las sie stets zuerst die Seiten, die sich mit Mitau und Umgebung befassten. Janis war tatsächlich Bürgermeister geworden. Mit überwältigender Mehrheit hatte man ihn gewählt. Malu hatte sich darüber gefreut und doch nicht verhindern können, dass es in ihrer Brust schmerzte, als sie das Foto von ihm und Marija in der Zeitung sah. Er hatte seinen Arm um die Schulter seiner Frau gelegt, und Marija hatte sich fest an ihn geschmiegt und stolz zu ihm aufgeblickt wie auf dem Hochzeitsfoto.
Von Isabel von Ruhlow hörte Malu regelmäßig. Sie schrieb ihr, dass es Constanze körperlich besserginge in der neuen Klinik, die Malu dank der
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