Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Lothar deutete auf das Fräulein im schwarzen Kleid. »Darf ich vorstellen: meine Cousine, Adelheid von Hohenhorst, genannt Adele.«
Constanze streckte ihr die Hand hin. »Sehr angenehm. Marie-Luise von Zehlendorf.«
Adele ließ ihre ausgestreckte Hand fallen, als hätte sie sich verbrannt. »Zehlendorf?«, fragte sie verblüfft. »Verwandt etwa mit Ruppert von Zehlendorf?«
Constanze schluckte, aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als zu nicken. »Mein Bruder.«
Adele betrachtete sie von oben bis unten. »Ähnlich seid ihr euch zum Glück ja nicht. Sonst müsste mein Cousin dich jetzt zum Duell fordern.« Sie lachte glucksend und nahm einen kräftigen Zug von der Zigarette.
»Was meinen Sie … meinst du damit?«, fragte Constanze vorsichtig.
Adele reagierte verblüfft und zog die Augenbrauen etwas in die Höhe. Dann beugte sie sich zu Constanzes Ohr: »Kennst du denn nicht den Ruf deines Bruders als großen Schürzenjäger? Es gibt keine Frau in ganz Lettland, die er nicht geschändet hat. Und, mein Gott, das kann er ganz großartig. Mich jedenfalls hat er nicht lange überreden müssen.«
Sie lachte, und Constanze wurde glutrot. »Willst du damit sagen, dass du mit ihm im Bett warst?« Sie konnte selbst nicht glauben, dass sie diese Worte gerade ausgesprochen hatte. Es musste am Champagner liegen, der so angenehm durch ihre Kehle rann.
Aber Adele war nicht erzürnt. Sie hob nur leicht die Schultern. »Natürlich war ich das.« Sie machte eine ausholende Handbewegung. »Die meisten von uns. Und soweit ich weiß, hat es keine bereut. Aber wie geht es dem alten Knaben?«
Constanze war so perplex, dass sie nicht antworten konnte. Ihr Herz schlug rasend vor Eifersucht. Und zugleich fühlte sie sich wieder einmal so gedemütigt von Ruppert, dass sie kaum atmen konnte.
Lothar von Hohenhorst klopfte ihr leicht auf den Rücken. »Wieder ein kleiner Schwächeanfall?«, fragte er fürsorglich.
Constanze nickte. »Ich glaube, die letzten Wochen waren ein bisschen viel für mich.«
»Kommen Sie.« Er nahm sie beim Arm und führte sie in einen kleinen Salon zu einer Ottomane. Der ganze Raum war an den Wänden mit Liegemöbeln dieser Art bestückt, und auf jedem ruhte eine junge Dame, die eine Zigarette oder ein Glas in der Hand hielt, während sich vor ihr ein paar Herren versammelt hatten. Die jungen Männer und Frauen, von denen wohl die meisten zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt waren, lachten und scherzten und unterhielten sich so ungezwungen, als würden sie nichts anderes kennen. Constanze erinnerte sich an den Debütantenball, den sie an Malus Seite erlebt hatte. Sie dachte an die Mütter und Tanten, die nebeneinander wie Glucken auf dem Drachenfelsen gehockt hatten, bereit, sofort die Tugend der jungen Frauen zu schützen, falls diese in Gefahr geriet. Hier war das anders. Niemand schien verheiratet oder verlobt zu sein. Männer lachten mit Frauen und küssten einander leicht auf die Wangen, ab und an legten sich Frauenhände an weiß behemdete Männerbrüste. Die Ungezwungenheit gefiel Constanze. Auch der offensichtliche Luxus war ihr keineswegs zuwider.
Zwei Serviermädchen in weißen Schürzen und Häubchen gingen mit silbernen Tabletts herum und reichten winzige Kuchen. Zwei junge Männer mit finsteren Gesichtern boten Champagnergläser an.
Vor einer freien Ottomane hielt Lothar an. »Bitte, Marie-Luise, nehmen Sie Platz.« Constanze zuckte bei dem Namen zusammen, doch sie konnte nun nicht mehr anders, als das Spiel weiterzuführen, das sie selbst begonnen hatte.
Vorsichtig, mit zusammengepressten Knien und geradem Rücken, ließ sie sich auf der Ottomane nieder.
Lothar lachte. »Sie sitzen da wie eine Hauslehrerin! Entspannen Sie sich. Hier brauchen Sie nicht so förmlich zu sein.«
Constanze erschrak. Für einen Augenblick wünschte sie sich zurück in die schmale Kammer zu Malu. Was hatte sie nur getan? Wie konnte sie sich nur als eine Aristokratin ausgeben? Was wusste sie schon von den Sitten und Gebräuchen der Adligen? Damals, auf Gut Zehlendorf, hatte sie zwar Unterricht in Etikette erhalten, aber das lag Jahre zurück. Die Sitten in Berlin waren sicherlich viel freizügiger als im Baltikum. Ein einziges Mal war sie auf einem Ball gewesen. Sicherlich würde sie sich blamieren und alles falsch machen, und innerhalb einer Stunde würde Lothar von Hohenhorst hinter ihre Lüge kommen und sie – zu Recht – aus dem Haus jagen.
Einer der übel gelaunten Serviermänner reichte ihr ein
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