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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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frisches Glas mit Champagner, und Constanze trank es in einem Zug aus. Es war schon das zweite Glas am heutigen Abend, und allmählich entspannte sie sich. Ihre Furcht verging, und sie begann über Lothars kleine Anekdoten zu lachen. Nach einer Stunde war sie so gut gelaunt wie schon seit Jahren nicht mehr.
    Der Pianist hatte den Klavierdeckel zugeschlagen, und ein Mann im schwarzen Frack legte eine schwarze Scheibe auf ein Grammophon, drehte an der Kurbel, und die neuesten Schlager erklangen. Sofort sprangen die Damen von den Ottomanen und trafen sich auf dem Parkett in der Mitte des Raumes. Sie warfen ihre Beine und ihre Arme in die Luft, sodass Constanze laut auflachen musste.
    »Das ist der neueste Tanz«, erklärte Lothar. »Kommen Sie, wir probieren ihn aus.«
    Lachend schüttelte Constanze den Kopf. »Ich werde mich in meinem Kleid verheddern.«
    Lothar hielt den Kopf ein wenig schief, dann kniete er plötzlich vor Constanze, hob ihren weiten Rock und machte einen Knoten darin, sodass ihre Knöchel bloß lagen.
    Constanze wurde rot. »Was machen Sie da? Das ist unanständig.« Doch sie lachte dabei und drehte ihre Knöchel, von denen sie wusste, dass sie schön geraten und schmal waren.
    Schon wurde ihr wieder ein frisches Glas Champagner gereicht, und Constanze trank es bis zur Neige. Dann tanzte sie, drehte Arme und Beine, schwang die Hüften. Ihr Hut lag vergessen auf der Ottomane, die Schuhe hatte sie von den Füßen geworfen, und sie tanzte nun barfuß. Immer wieder reichte ihr jemand ein Glas, und jedes Mal trank Constanze es aus. Sie bemerkte nicht, dass inzwischen Stunden vergangen waren.
    In den Häusern waren die Lichter längst verloschen, und auch die letzten, die ihre Hunde auf der Straße Gassi geführt hatten, lagen mittlerweile in ihren Betten. Nur Constanze tanzte, als gäbe es kein Morgen. Sie hatte den Kopf zurückgeworfen, der Champagner rann ihr über das Kinn, doch sie lachte nur und tanzte wilder als alle anderen. Allmählich leerte sich die Wohnung, und Constanze wusste noch immer nicht, wem sie gehörte. Sie tanzte, feuerte Lothar an, verlangte Champagner, verlangte Zigaretten, tanzte, als gelte es das Leben.
    Plötzlich stand ein Mann mitten im Saal. Er war klein und sehr dick, und über sein Nachthemd hatte er sich einen Morgenmantel gezogen. Mit zornesrotem Gesicht riss er die Nadel vom Grammophon, schimpfte und tobte. Als Constanze weiterhin lachte und mit ihm tanzen wollte, stieß er sie grob von sich weg, sodass sie auf eine Ottomane fiel, – und dann war sie auch schon eingeschlafen.

Sechzehntes Kapitel
    Berlin, 1920
    W o warst du? Wo kommst du denn jetzt her?«, fragte Malu am nächsten Morgen mit zwei Stecknadeln im Mund und sah von ihrer Nähmaschine auf.
    Constanze strich sich verlegen über das zerdrückte Haar. »Ich war bei Freunden«, antwortete sie sehr leise.
    »Bitte? Wo warst du? Die ganze Nacht?« Malu musste die Stecknadeln aus dem Mund nehmen. »Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht.«
    Constanze reckte sich ein wenig. »Ich war bei Freunden«, wiederholte sie.
    »Aha.« Malu steckte die Nadeln zurück in den Mund und trat das Pedal der Nähmaschine.
    Constanze aber ließ sich unglücklich auf ihr Bett fallen, den Hut noch in der Hand. Wie kommt es, dachte sie, dass ich mich jetzt so mies fühle? Gestern Abend, die halbe Nacht habe ich getanzt und gelacht. Es war so schön. So unbeschwert. Beinahe wie vor dem Krieg. Und jetzt fühle ich mich mies deshalb.
    Als sie in der fremden Wohnung erwacht war, hingestreckt auf eine Ottomane, der linke Strumpf verrutscht, der Rock verknüllt, hatte sie sich erstaunt und beschämt umgesehen.
    Schon stand einer der grimmigen Bediensteten aus der Nacht vor ihrem Lager. »Wünschen gnädige Frau ein Frühstück?«, hatte er gefragt, ohne sie dabei anzusehen.
    Constanze musste sich schütteln. Statt zu antworten, fragte sie: »Bin ich allein hier?«
    Der Bedienstete hatte den Kopf geschüttelt. »Frau von Ruhlow ruht in ihrem Schlafzimmer. Vor dem Mittag wird sie nicht aufstehen.«
    »Frau von Ruhlow?«
    Constanze hatte nicht die leiseste Erinnerung an Namen und Gesichter. Einzig Lothar von Hohenhorst und seine Cousine waren in ihrem Gedächtnis haften geblieben.
    »Frau von Ruhlow trug gestern ihr apfelgrünes Kleid«, erwiderte der Mann, und noch immer zuckte nicht ein Muskel in seinem Gesicht. »Sie hat mir aufgetragen, Fräulein von Zehlendorf aufzuwarten.«
    »Frau von Ruhlow?«, wiederholte Constanze. »Wieso

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