Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Liebe, die ist anders, als in den Büchern beschrieben wird. Es ist eine Form, bei der einer alles macht, was der andere sagt.«
Malu schwieg und sah Constanze lange ins Gesicht. Schließlich erwiderte sie: »Das ist keine Liebe, Constanze. Du sprichst von Abhängigkeit, von Hörigkeit.« Sie öffnete den Mund, um noch Weiteres hinzuzufügen, doch in diesem Augenblick fuhr der Zug Berlin-Riga-Berlin in den Bahnhof ein.
Schon quollen die ersten Reisenden aus den offenen Türen. Es wurde nach Kofferträgern gebrüllt, Verwandte lagen sich in den Armen, Gepäckstücke wurden hin und her gereicht; und dazwischen rief ein Zeitungsjunge die neuesten Schlagzeilen aus.
»Ich kann ihn nicht sehen!« Constanzes Stimme klang beunruhigt. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die Köpfe der Leute blicken zu können. Zugleich hielt sie einen Kofferträger am Ärmel gepackt, damit er ihr nicht entwischte und Ruppert am Ende seine Koffer nicht allein schleppen musste. »Ruppert!«, rief sie in die Menge, doch ihr Ruf verklang nach wenigen Schritten im allgemeinen Lärm.
Malu stand an der Seite des Bahnsteiges, wo die Treppen hinabführten. Sie lehnte an der Mauer, besah die Mäntel und Kleider der Reisenden und nickte zufrieden. In Riga war die Berliner Mode noch nicht angekommen. Beinahe erschrak sie, als Ruppert plötzlich vor ihr stand.
»Na, das nenne ich aber eine Begrüßung!«, polterte Ruppert und sah sich um. »Wo ist der Champagner, wo die Blaskapelle?« Er lachte, aber Malu kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er es ernst meinte.
»Blaskapellen sind aus der Mode«, erwiderte sie ungerührt, während sie sich steif umarmen ließ.
»Müde siehst du aus«, stellte der Bruder fest. »Die Berliner Luft scheint dir nicht zu bekommen. Na, jetzt bin ich ja da.«
Im selben Augenblick kam Constanze dazu. Sie rannte fast auf Ruppert zu, mit weit geöffneten Armen, bereit, sich an seine Brust zu werfen. Ruppert aber stand mit offenem Mund da.
»Constanze?«, fragte er verblüfft.
Sie nickte, lächelte und griff sich in den Nacken. »Ja.«
»Wie siehst du denn aus?« Ruppert betrachtete sie wie einen völlig fremden Gegenstand, dessen Bedeutung sich ihm einfach nicht erschließen konnte.
»So sehen alle aus in Berlin«, erwiderte Constanze, doch ihre Stimme klang bereits, als wollte sie sich entschuldigen.
Ruppert wandte sich wieder Malu zu, nahm ihren Arm und führte sie die Treppe hinab. Constanze ließ er einfach wie eine Bedienstete mit seinen Gepäckstücken stehen.
»Wie geht es dir?«, wollte Ruppert wissen. »Wie ist das Berliner Leben? Hast du schon Kontakte geknüpft?«
Malu blieb stehen und sah sich nach Constanze um, die mit dem Gepäckträger verhandelte. »Die Uhren gehen hier wirklich anders«, erwiderte sie und machte Constanze ein Zeichen, dass sie auf sie warteten. »Es hat sich einiges verändert. Constanze ist nicht mehr dieselbe.«
Ruppert lachte. »Das habe ich schon gesehen. Sie sieht aus wie eine, die es nötig hat.«
Malu sah ihn mit kalten Augen an. »Du wirst sie mit Respekt behandeln müssen, denn sie ist es, die Freundschaften geknüpft hat. Die Berliner feine Gesellschaft kennt sie in- und auswendig. Constanze ist sehr beliebt, wird zu jeder Feier eingeladen, zu jedem Picknick und zu allen Tanzvergnügen, die mit denen, die du aus Riga kennst, nicht das Geringste gemein haben.«
Ruppert zog ungläubig die Augenbrauen nach oben.
»Es ist, wie ich sage«, fuhr Malu ungerührt fort. »Wenn du die Bekanntschaft des Freiherrn von Hohenhorst und seiner Kreise machen möchtest, so solltest du dich an sie halten. Auch die Gräfin von Ruhlow gehört zu ihren Freundinnen.«
»Isabel?«, fragte Ruppert verwundert. »Was tut sie hier?«
Malu zuckte leicht mit den Schultern. »Wie es heißt, hält sie Anteile an der Berliner UFA. Ihre Kostümfeste sind so legendär, dass sie sogar in der Berliner Tageszeitung erwähnt werden. Sie lebt jetzt übrigens mit einer Frau zusammen, Anita de Crespin, einer Französin. Es heißt, sie habe früher im Moulin Rouge getanzt.«
Ruppert verstummte beeindruckt, aber nur für einen Augenblick. »Du kennst diese Leute sicherlich auch alle. Es wäre mir eine Ehre, wenn du mich Hohenhorst so bald wie möglich vorstellst.«
Malu lachte. »Ich kenne Hohenhorst nicht. Und er mich auch nicht. Vielleicht hat er von mir gehört. Ich, mein Lieber, bin in Berlin nämlich Constanze Mohrmann, Gesellschafterin der Marie-Luise von Zehlendorf, deren Rolle
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