Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
haben. Deutschland zahlt sich arm an Reparationen. Es wird Zeit, dass das anders wird.«
Constanze hatte bisher geschwiegen. Doch jetzt ergriff sie das Wort. »Haben wir denn kein Unrecht begangen im Krieg? Haben wir nicht auch geschossen, sind in Belgien einmarschiert, wollten Frankreich annektieren? Wir haben Schaden angerichtet. Einen Schaden, der größer ist, als ein einzelner Mensch wohl fassen kann. Und für diesen Schaden müssen wir bezahlen. So ist das in der Welt.«
»Unfug!« Ruppert wischte Constanzes Überlegungen mit einer rüden Handbewegung beiseite. »Wir haben genug Opfer gebracht. Vater ist gefallen. Es wird Zeit, dass die Franzosen aufhören, uns auszubluten. Schließlich waren wir es nicht, die angefangen haben.«
»Nicht wir?«, fragte sie verwundert. »Wer hat denn wem den Krieg erklärt? Waren das nicht die Deutschen?«
»Unfug!«, wiederholte Ruppert mit mehr Nachdruck. »Wir waren es schließlich nicht, die den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo erschossen haben. Dem Reich ist dieser Krieg aufgezwungen worden. Es wird Zeit, dass wir zu unserem Stolz zurückfinden.«
Constanze musterte ihn. »Du hast dich nicht verändert«, stellte sie leise fest.
Ruppert lachte, streckte die Glieder. »Warum sollte ich auch? Mit mir zumindest ist alles in Ordnung. Jetzt bin ich müde und muss ein bisschen schlafen. Aber heute Abend möchte ich Berlin kennenlernen. Und zwar von seiner schönsten Seite. Denkt euch etwas aus. Heute Abend will ich mich amüsieren.«
Er erhob sich, und kurz darauf fiel die Tür zu Constanzes Zimmer ins Schloss.
»Und?«, fragte Malu leise. »Freust du dich noch immer, dass Ruppert gekommen ist?«
Constanze seufzte. »Er ist jetzt da. Das ist alles, was zählt.« Sie stand auf.
»Wohin gehst du?«, wollte Malu wissen.
»Hinunter. Ich muss telefonieren. Lothar wird wissen, wo es Ruppert gefallen könnte.«
Am Abend gingen sie alle zusammen in den Gefallenen Engel, ein Revuetheater, das erst kürzlich eröffnet worden war. Die Attraktion des Abends war ein Frauenringkampf. Das Theater war nicht so vornehm wie die auf dem Kurfürstendamm, doch wenn es irgendwo in der Stadt etwas Neues gab, wollten Lothar von Hohenhorst und Isabel von Ruhlow es unbedingt sehen. Auch Anita de Crespin, Isabels Gefährtin, war dabei. Die beiden Frauen trugen Hosenanzüge, die selbstverständlich Malu angefertigt hatte. Isabel in Rot mit schwarzer Bluse, und Anita in Schwarz mit roter Bluse. Mit ihnen waren noch ein paar Freunde gekommen, unter ihnen ein schlesischer Leinenfabrikant und der Sohn eines Berliner Diplomaten, der sein halbes Leben in Paris zugebracht hatte und nicht aufhören konnte, von der Freizügigkeit der Französinnen zu schwärmen. Auch Malu war mitgekommen, die sich natürlich weiterhin als Constanze Mohrmann ausgab.
Wie Constanze vermutet hatte, fiel es Ruppert sehr leicht, sie als seine Schwester zu behandeln. Er flirtete ausgiebig mit Anita, die sich das kichernd gefallen ließ, während die Stimmung ihrer Freundin Isabel merklich sank.
»Hör auf damit«, raunte Malu ihm zu. »Anita ist nichts für dich. Sie ist in festen Händen.«
»Pah!«, stieß Ruppert aus. »In festen Händen! Dass ich nicht lache! Sie ist in den Fängen eines verruchten Weibes, und das auch nur, weil sie keinen Mann hat, der es ihr einmal richtig besorgt.«
Er stand auf, knöpfte sein Jackett zu und forderte Anita zu einem Tango auf.
Isabel sah ihm kopfschüttelnd nach. Constanze hing in ihrem Sessel, die Beine gekreuzt, und rauchte eine Zigarette aus ihrer silbernen Spitze. Das Champagnerglas vor ihr auf dem Tisch war nicht einmal halb leer.
»Dein Bruder hat sich nicht im Geringsten verändert«, stellte Isabel schmallippig fest. »Derselbe Schürzenjäger, der er immer war.«
Constanze zuckte mit den Schultern. »Er war wohl zu lange in einem Haushalt, in dem mehrere Frauen dafür gesorgt haben, dass seine Wünsche stets erfüllt wurden. Meine Mutter hat ihn nach Strich und Faden verwöhnt. Scheinbar glaubt er deshalb, dass alle Frauen ihm jederzeit und überall zu Füßen liegen müssen. Ich hoffe, in Berlin wird er sich die Hörner abstoßen.«
»Aber nicht an Anita!« Isabel von Ruhlow sah besorgt auf den Rücken ihrer Freundin, auf dem sich Rupperts Hand im Verlaufe des Tanzes immer weiter in Richtung Po schob.
Constanze schüttelte leicht den Kopf. »Ich habe keinen Einfluss auf ihn«, stellte sie fest. »Zumindest keinen guten.«
Isabel schlug leicht
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