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Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fiona Capp
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Mitternachtsschicht nach Hause marschieren, die Schritte, die auf der Straße vorbeikommen. Manchmal glaubt sie auch, das hartnäckige Klopfen der Finger einer Frau an der Tür ihres Tearooms zu hören. Und obwohl dieses Geräusch sich verflüchtigt, sobald sie aufwacht, kann sie nicht anders, als aufzustehen – wie sie das auch jetzt tut – und leise über die Treppe nach unten in den Laden zu huschen, für alle Fälle. Die Vorstellung, Jemma würde in der Dunkelheit warten, ohne dass sie ihren Besuch mitbekommt, ist ihr unerträglich.
    Von der anderen Straßenseite wirft die Straßenlampe einen schwachen Schein in den Tearoom. Celestina erkennt Battista, der an einem der Tische sitzt, wo er den Kopf auf die Arme gelegt hat und laut schnarcht. Sie hat Aquilino und ihm gesagt, es sei nicht nötig, Wache zu halten, aber wenn die beiden sich etwas in den Kopf gesetzt haben, sind sie stur und lassen sich davon nicht abbringen.
    Natürlich steht keiner an der Tür, die dunkle Straße ist leer und still. Doch in dieser Stille ist kein Frieden. Die Stimmen in ihrem Kopf melden sich wieder, zu viele Stimmen, die ihr sagen, was sie tun soll. Sie quälen sie seit Monaten, kritteln, ermahnen, schmeicheln, drohen. Die meisten davon setzen ihr wegen Jemmas Gemälde zu, wollen von ihr wissen, wieso sie »dieses Bild« nach allem, was passiert ist, an einer der Öffentlichkeit zugänglichen Wand hängen lässt. Sagen ihr, dass sie sich schämen sollte. Jedes Mal, wenn Celestina den Tearoom betritt, fällt ihr Blick darauf und verweilt dort, und sie muss nachdenken, und es kommen Erinnerungen hoch, und ehe sie sich versieht, ist sie wütend und verletzt.
    Bevor das Kind starb und Jemma wegging, hat kaum jemand eine Bemerkung über dieses Bild gemacht. Gelegentlich pries ein kunstverständiger Gast die Ausführung oder die Farbwahl oder die Technik. Aber insgesamt betrachtet sah es so aus, als sei das Werk zu schwermütig und könne, da sich dahinter auch keine Schnurre versteckte, außer Verblüffung keine anderen Gefühle auslösen. Wie traurig, überlegt Celestina, dass es einer Tragödie und eines Skandals bedurfte, um Reaktionen zu provozieren. Diese fallen jetzt allerdings heftig aus. Man sieht nicht mehr das Bild, sondern die Frau. Und wenn man schon nicht die Frau bestrafen kann, denn doch wenigstens das Gemälde.
    Celestina hält ihre Kerze vor das Bild. Wie leicht wäre es, einen Unfall herbeizuführen, die Flamme so nah dranzuhalten, dass die Leinwand Feuer fängt. Ein Unfall, der sie jeglicher Verantwortung entbinden würde, eine wie auch immer geartete Entscheidung zu treffen. Denn auch ohne die Aufmerksamkeit und das Theater, das um das Gemälde gemacht wird, hat sie genug Sorgen. Während sie es im Schein der hin und her wandernden Kerze betrachtet, erinnert sie sich an den Tag, der sie in Jemmas Atelier geführt hat, und an die freudige Erregung bei der Entdeckung des Bildes, die untrennbar mit der Gewissheit verbunden war, dass diese Freundschaft sie beide bis zum Ende ihres Lebens begleiten würde. Sie erinnert sich, wie sie das Bild an diese Wand gehängt und von der Galerie geträumt hat, die sie eines Tages eröffnen und sich dann vor der Welt damit brüsten würde, dass sie als Erste das Talent von Jemma Musk erkannt hat.
    Erst als Celestina von der Leinwand zurückweicht, bemerkt sie es. Unzählige Male hat sie Weide mit Butterblumen betrachtet und es doch nicht wahrgenommen. Natürlich war ihr aufgefallen, dass einige der Butterblumen platt gedrückt waren. Aber nicht die Form, die dadurch entstand – und die jetzt durch die nächtlichen Schatten im Tearoom hervorgehoben wird –, als legte sie Zeugnis von dem Eindruck ab, den ein eben erst entfernter Körper hinterlassen hat. Schlagartig kommt ihr die Erkenntnis wie ein Tadel. Erinnert sie daran, dass es immer entscheidende Details geben wird, die einem entgehen. Sie kannte die Geschichte von Erasmus Musks Tod, hatte aber nicht erkannt, dass sie sich vor ihren Augen abspielte.
    Und jetzt erzählt dieses Gemälde von zwei Absenzen. Dem abwesenden Vater und der abwesenden Freundin, die beide noch immer mit ihr kommunizieren und ihren Eindruck hinterlassen. Manchmal scheint es Celestina, als würde sich ihr Leben um Jemmas Abwesenheit neu formen, als wäre diese der Antrieb für alles, was sie tut. Wenn sie müde und niedergeschlagen ist, ärgert sie sich darüber und denkt darüber nach, dass Jemma doch nur ihren Freunden und ihrer Familie hätte vertrauen

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