Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
versucht er ihr einen sicheren Halt zu geben und zu verhindern, dass sie zu früh stürzt, doch bald schon wird klar, dass er es ihr auf diese Weise unmöglich macht, die Geschwindigkeit zu entwickeln, die sie braucht. Er warnt sie, dass er loslassen wird. Sie nickt und tritt zuversichtlich auf gerader Strecke in die Pedale, doch als die Straße ansteigt, verliert sie an Geschwindigkeit. Das Fahrrad beginnt zu wackeln und kippt mit hypnotisierender Langsamkeit um. Sie landet hart auf der roten Staubstraße.
Jemmas Verärgerung ist größer als ihr Schmerz. Sie spürt, dass sie sich ihr linkes Bein ein wenig aufgeschürft hat, kann es aber wegen ihrer Unterhose und ihrer Strümpfe nicht inspizieren. Wenigstens hat ihr gebauschter Rock den Sturz gedämpft, und sie sieht kein Blut. Sie klopft den roten Staub aus den Kleidern und sieht Nathaniel kläglich an.
»Du hättest mich warnen sollen, wie hart der Boden ist!«
Er ist erleichtert, dass sie darüber scherzen kann und nicht verzagt zu sein scheint. Da kommt ihm eine Idee. Es gibt einen ebenen, ausgetretenen Pfad durch ein nahe gelegenes Feld, der von den Einheimischen benutzt wird, wenn sie hinunter zum Strand wollen. Wenn es zu weiteren Stürzen kommt, fällt sie dort wenigstens auf weiches Gras.
Die Felder ziehen sich in sanften Wellen und Ebenen hinunter zum Rand der Klippe und dem Strand darunter. Dahinter schimmert blaugrün das Meer. Als Jemmas Blick über das geschnittene Gras und die goldenen Heuhaufen wandert, legt sich ein merkwürdiger Ausdruck auf ihr Gesicht. Nathaniel hätte sie gern gefragt, woran sie denkt, spürt aber, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt ist. Er sieht zu, wie sie auf das Fahrrad steigt und wackelig anfährt, bald aber kräftiger in die Pedale tritt und sich in den Wind lehnt, während sie Geschwindigkeit aufnimmt. Ihr Haar hat sich aus ihren Spangen gelöst und fliegt hinter ihr her, und in ihren Augen ist ein wildes Glitzern. Diese Verwandlung kennt er aus den Nächten in ihrem Schlafzimmer, diese wilde Gleichgültigkeit, als wäre ihr alles egal. Wenn sie doch nur zulassen würde, sich zu entspannen, überlegt Nathaniel, sich von der Leichtigkeit des Seins erfüllen ließe, die das Geschenk dieser kostbaren Maschine ist.
Dann biegt sie plötzlich vom Wanderpfad ab und lenkt mit einem kleinen trotzigen Aufschrei direkt in einen der Heuhaufen. Es ist eindeutig eine vorsätzliche Bewegung, und Nathaniel bleibt vor Erstaunen der Mund offen.
Heu und Spreu wirbeln durch die Luft, als Jemma und das Fahrrad durch den Haufen pflügen. In einer großen Wolke aus goldenem Rauch löst sich das lockere Gebilde auf. Als Nathaniel sie einholt, lehnt Jemma zerknautscht an den Resten des Heuhaufens und hält sich den Bauch.
»Jemma!«, ruft er erschrocken.
Aber als sie ihn ansieht, lacht sie. Sie hält sich vor Lachen den Bauch. Sie lacht, bis sie weint, bis ihre Wangenmuskeln wehtun. Sie kann sich nicht erinnern, wann sie zuletzt derart gelacht hat. Vielleicht seit ihrer Kindheit nicht mehr.
Auch Nathaniel fängt zu lachen an. Er hat sie zum Lachen gebracht, er hat es geschafft! Ihr laufen vor Lachen Tränen über die Wangen. Was für ein wunderbarer Anblick! Sie vor Freude gelöst zu sehen, Haare und Kleider mit Heu bedeckt.
Sie lässt sich aufs Gras fallen, und als ihr Lachanfall nachlässt, stößt sie einen tiefen Seufzer der Zufriedenheit aus und wischt sich die Augen. »Hast du nie so etwas tun wollen?«
Nathaniel zupft ihr einen trockenen Grashalm aus dem Haar, beugt sich über sie, um sie zu küssen, und murmelt: »O doch.«
Sie lieben sich hinter einem der Heuhaufen – sanft und verspielt, eine Liebe, die keine Ähnlichkeit mit der qualvollen Leidenschaft ihrer Nächte hat –, und der Nachmittag verstreicht wie im Traum, aus dem keiner von ihnen aufwachen möchte. Als sie sich endlich aus dem Gras erheben, wechseln sie sich auf dem Fahrrad ab, bis Jemma vorschlägt, es einmal zusammen zu versuchen, bloß noch ein letztes Mal, ehe sie als Mr. und Mrs. Wright zu ihren Pflichten zurückkehren.
Vor dem rosigen Dunst des Spätnachmittags lassen sich ganze Schwärme von Kakadus mit schwefelgelben Hauben auf die Felder nieder, um die Grassamen aufzupicken. Nathaniel setzt sich auf den Sattel des Velozipeds, Jemma nimmt auf der Lenkstange Platz. Vorsichtig schiebt er es mit dem Fuß an. Anfangs bremst ihr verdoppeltes Gewicht ihre Fahrt, und es geht recht gemächlich den sanften Abhang hinunter. Ihr Wagemut macht sie
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