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Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fiona Capp
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Kolonien. Allein schon die Aussicht, einen ganzen Raum voller Guérards vorzufinden und vielleicht sogar nach so vielen Jahren den Künstler selbst anzutreffen, verschafft Celestina ein Glücksgefühl. Jemma freut sich auf die Werke von Mr. Turner – Ruskins Lieblingsmaler –, von dessen wirbelnden, weiß glühenden Himmeln und wilden, strudelartigen Seestücken sie schon so viel gehört hat.
    Überwältigt von Müdigkeit schließt Jemma die Augen. Als sie wach wird, fahren sie am Bahnhof Spencer Street ein.
    Nach der Ausstellung begeben sie sich mit dem Omnibus zu den Royal Botanic Gardens. Sie schlendern am See entlang, werfen den Enten Brotkrumen ins Wasser und lassen sich dann im Schatten eines großen Moreton-Bay-Feigenbaums nieder. Sie befinden sich auf einer Anhöhe, von wo aus sie einen guten Blick auf die Stadt haben. Im Vordergrund schlängelt sich der Fluss vorbei. Dahinter ragt die Metropole auf, die aus dieser Entfernung einen überraschend soliden Eindruck macht, als hätte es sie immer schon gegeben. Eine Reihe respektabler Ziegelhäuser mit ordentlichen Schieferdächern nach der anderen und dann, Richtung Zentrum, die ins Nachmittagslicht getauchten großen weißen öffentlichen Gebäude und Kirchtürme. Jemma kann sich das alles gut in einem Rahmen vorstellen.
    So geht es ihr immer, wenn sie eine Ausstellung besucht, danach stellt sie alles, was sie sieht, in einen Rahmen. Als würde man nach dem Besuch eines Theaterstücks von Shakespeare entdecken, dass alle im Blankvers sprechen. Zu ihrer Überraschung fand sie die Gemälde Turners nicht so ergreifend, wie sie das erwartet hatte. Denn trotz all ihrer brillanten Lichteffekte auf Wolken und Wasser haftet zu vielen seiner Werke etwas Gespenstisches, Apokalyptisches an, das übertrieben wirkt. Möglicherweise wäre sie sogar enttäuscht gewesen, hätte da nicht das einzelne Werk eines französischen Malers gehangen, von dem sie noch nie gehört, dessen Name aber bemerkenswerterweise dem von Mr. Manet sehr ähnlich war und dessen Werk (ebenfalls Le déjeuner sur l’herbe genannt) hier in Melbourne für fast ebenso großen Tumult sorgte wie das von Mr. Manet in Paris.
    Vor dem Werk hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, angelockt von dem Aufsehen, das es in der Presse erregt hatte, wo Kritiker und Politiker die Frage aufwarfen, warum man es ausgestellt habe, denn es sei »hingepfuscht« und »ohne jede Präzision« und hätte, wie ein Kritiker der Lokalpresse befand, auch von einem Blinden gemalt sein können. Der hauptsächliche Einwand, den die Öffentlichkeit vorzubringen hatte, war der, dass es unfertig wirkte, außerdem glaubte sie fest daran, man erlaube sich mit dem Betrachter einen arroganten Scherz, als glaube der Franzose, sein verschwommen wirkendes, grob gemaltes Werk einfach so auf die Leinwand werfen und den britischen Kolonialisten als Kunst unterjubeln zu können.
    Jemma blieb lange vor dieser großen Leinwand stehen. Die staunenden und lachenden und abfällige Bemerkungen machenden Leute bekam sie gar nicht mit. Vom ersten Blick an war sie gebannt. Sie sah auf Anhieb, dass das Gemälde selbst der Beleg einer solch flüchtigen Wahrnehmung, eines vergänglichen Blicks war. Gleichzeitig jedoch schien es ständig neue Perspektiven zu entfalten, als wäre es fließend und als würde das Leben vor ihren Augen abgespult. Im Vordergrund sah man halb liegend einen Mann, der sich mit zwei Frauen unterhielt, die auf einer Picknickdecke saßen, ausgebreitet neben einer Birke, in deren panaschiertem Stamm man beim genauen Hinsehen ein in die Rinde geritztes Herz mit einem Pfeil erkennen konnte. Adrett gekleidete Picknicker standen links unter einem schimmernden Blätterdach, das auf so geschickte Weise gefiltertes Sonnenlicht suggerierte, dass Jemma fast dessen Wärme auf ihren Armen und ihrem Gesicht zu spüren vermochte.
    Obwohl keine der Gestalten sich bewegte, haftete ihnen nichts Statisches an. Eine der sitzenden Frauen griff nach vorne, um einen Porzellanteller abzulegen, der, wie Jemma plötzlich realisierte, den Mittelpunkt des Bildes darstellte, die kleine Sonne, um den alle anderen Gestalten und die ganze Szenerie kreisten. Der Kopf dieser Frau war wirbelnder Teil dieser allgemeinen Bewegung, des Flimmerns sichtbarer Pinselstriche und des Wechselspiels von Schatten und Licht. Die Gewöhnlichkeit des Augenblicks. Und bei dem Mann, der an einem Baum lehnte, musste sie an ihren Vater denken, und sie verspürte eine schmerzhafte

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