Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
beobachteten, als er das letzte Mal bei ihr war.
»Du glaubst wohl, dir kann das nicht passieren?«, sagte sie. »Aber eines Tages wirst du schon dahinterkommen. Du wirst dich verlieben wie alle anderen auch. Und wenn das passiert, Nat, wirst du nicht wissen, wie dir geschieht.«
Zu Nathaniels liebstem Zeitvertreib an einem heißen Tag gehört es, auf der breiten vorderen Veranda des Mountain Hotel zu sitzen, das anderthalb Kilometer vor der Stadt liegt, und dort ein großes Glas perlendes Ale zu trinken. Wenn kein Wind weht, kann man das Tröpfeln der Mineralquellen hören, die aus der Erde blubbern und im Unterholz glänzende Bäche formen, ehe sie auf den Fluss in der darunterliegenden Schlucht treffen. Die Landschaft hier ist wie ein Sieb, porös von all den Quellen. Das Wasser sprudelt aus Aquiferspeichern, natürlichen unterirdischen Reservoirs, zurückgehalten von den gefalteten und gehärteten Sedimenten aus Sandstein und Schiefer, die unter dem Basalt vergraben liegen. Wie immer ist er sich der niemals endenden Aktivität im Untergrund bewusst, der Unruhe der Erde und des Drucks, der in ihr herrscht. Das Kohlendioxid im tief gelagerten eruptiven Magma sorgt nicht nur dafür, dass das Mineralwasser sprudelt, sondern drückt es auch an die Oberfläche. Einige behaupten, tief unter der Stadt gebe es einen alten Flusslauf, der die Quellen speise. Diese unterirdischen Höhlen und die Möglichkeiten, die sie aufwerfen, beflügeln seine Fantasie. Der Kontinent konnte sehr wohl von unterirdischen Flüssen und Meeren unterspült sein, auch wenn die Oberfläche wie der Mond aussah.
Mit geschlossenen Augen, die Füße auf die Schmiedeeisenranken des Balkons gestützt, gibt Nathaniel sich der Bewegung des Wassers im Untergrund hin, da spürt er die Erschütterung von Schritten auf den Holzdielen. Ein kurzer Blick sagt ihm, dass sie zu der schlaksigen, storchähnlichen Erscheinung von Sergeant O’Brien gehören, der in einem Korbstuhl nebenan Platz nimmt.
Die beiden Männer nicken einander kurz zu und hängen dann wieder ihren Gedanken nach. Nathaniel bemerkt, dass O’Brien das selbstzufriedene Federn in seinem Schritt verloren hat, das sein Auftreten in den Monaten nach dem Raubüberfall auf die First Colonial Bank bestimmt hat, als er in aller Munde war. Er wirkt verdrossen und reserviert, als hätte ihm der Ruhm nicht das gebracht, was er versprochen hatte. Nathaniel sagt sich, ihm gehe es nicht um Ruhm. Er will nur die Wahrheit über das Binnenmeer erfahren, wobei ihm die wissenschaftliche Erkenntnis Belohnung genug ist. Und dennoch muss er zugeben, dass der Ruhm durchaus seine Vorteile hat, einem etwa die Aufmerksamkeit sichert – und deshalb kann er O’Briens verdrießliche Stimmung auch nicht verstehen. Aber, sagt er sich und lächelt in sich hinein, man braucht schließlich nicht in der Zeitung zu stehen, um eine Frau ins Bett zu locken.
Marcus O’Brien liebkost seinen Whisky, während er finster hinaus auf die Landschaft blickt. Ihm ist völlig unverständlich, wieso die Leute darüber ins Schwärmen geraten. Er mag den Busch nicht, an seinen fahlen Farben und dürren Pflanzen findet er nichts Erfreuliches, ganz zu schweigen von den giftigen Kreaturen, die sich wie Gesetzlose in seinen Spalten verstecken. Er säße viel lieber drinnen und gäbe dem wesentlich angenehmeren Anblick der vielen farbigen Flaschen mit ihrem flüssigen Zauber den Vorzug, die hinter der Theke aufgereiht stehen, aber die stickige Hitze hat ihn in der Hoffnung auf ein frisches Lüftchen ins Freie getrieben. Unten auf der Straße nähert sich eine Gestalt, eine Frau, die einen Kinderwagen den Hügel hinaufschiebt, auf dem sich das Hotel befindet. Die Straße ist kaum mehr als ein Weg und das Gelände so unwirtlich und steil, dass es eine Mutter mit Kind eigentlich eher nicht zum Nachmittagsspaziergang einlädt.
Selbst aus dieser Entfernung vermag Marcus O’Brien sie zu erkennen. Schließlich hat er sie oft genug beobachtet und erkennt die Gestalt in ihrem schlichten braunen Rock, der weißen Baumwollbluse und dem schmucklosen Strohhut. Eine Gestalt, die so anders ist als die der meisten Frauen in der Stadt, welche Reifen oder Krinolinen oder in letzter Zeit auch diese absurd aussehenden Turnüren bevorzugen. Er weiß auch sehr genau, wie sie sich bewegt, kennt ihren schnellen Schritt. Als sie am Hotel vorbeikommt, dreht sie ihr Gesicht dem Himmel zu, als wolle sie den Sonnenstand beobachten. Er weiß, wohin sie geht, denn er
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