Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
sich, dass Breakneck Gully der Anfang und das Ende von allem sein müsse.
Doch jetzt, da er hier war, sein gemeißelter Körper, an dessen Hand lässig sein Hut baumelte, im scharfen Kontrast zur weißen Wand, weiß Jemma, dass das nicht stimmt.
Sie fragt ihn, was ihn zur Bendigo führt.
»Ich unterrichte an der Bendigo School of Mines.«
Er steht vor dem Bild, das sie in Breakneck Gully gemalt hat, und studiert es eingehend. Der Himmel über der Buschlichtung ist jetzt viel blauer. Ein Blau, das hypnotisch schimmert, wie auch die weiß-goldenen Flecken vertrockneten Grases, die von der Sonne angestrahlt werden. Er spürt die Hitze dieses Tages aus der Leinwand aufsteigen, kann die Zikaden in der schweren Luft zirpen hören. Es erinnere ihn an ein Gemälde von einem Franzosen, sagt er ihr, den er vor ein paar Jahren auf der Great Exhibition of Modern Works in Melbourne gesehen habe. Weil beide Gemälde sich erst vor den Augen des Betrachters zusammenzusetzen scheinen.
»Ich glaube, ich begreife langsam, was Sie da tun. Sie nehmen Zukünftiges vorweg, Mrs. Voletta. Da bin ich mir ganz sicher.«
Jemma legt das Tuch ab, mit dem sie einen Rahmen abgestaubt hat. Seit jener Ausstellung hat sie dieses französische Gemälde wie ein Geheimnis mit sich herumgetragen, das sie mit niemandem teilen kann. Und hier steht er und teilt es mühelos mit ihr, als kenne er ihre im Innersten verborgenen Gedanken. Gotardo und Celestina hatten versucht, ihr Mut zu machen und das Richtige zu sagen, aber es ist offensichtlich, dass sie vor den Kopf gestoßen sind und sich wünschen, sie würde zu dem eher konventionellen Stil von Weide mit Butterblumen zurückkehren. Selbst Mr. Kidd gibt ihren früheren Arbeiten den Vorzug. Er scheint Angst zu haben, ihre späteren Werke könnten genauso angegriffen werden wie das des Franzosen.
Nachdem Jemma sich mit einem Blick über ihre Schulter vergewissert hat, dass Mr. Kidd noch nicht zurückgekehrt ist, bringt Jemma ihre Bedenken zum Ausdruck.
»Ich vermute, dass das ganze Theater um Mr. Manet in den Zeitungen ihn nervös gemacht hat«, erwidert Nathaniel. »Mr. Kidd lässt sich ziemlich leicht aus der Ruhe bringen.«
Sie unterhalten sich noch eine Weile darüber, mit welch primitiver Wut die Öffentlichkeit und die Presse auf die Gemälde des Franzosen reagiert hatten und welches Maß an Feindseligkeit man wohl den Gemälden einer lokalen Künstlerin entgegenbringen wird, die als von dieser »neuen französischen Marotte« beeinflusst gilt. Nathaniel erwähnt, dass er selbst kurzzeitig die Erfahrung machen musste, den Zorn der Zeitungen auf sich gerichtet zu sehen, nachdem er den Chinesen Ah Sen gegen den Vorwurf, Falschgold gemacht zu haben, verteidigt hatte. Die ihm dadurch zuteilwerdende Aufmerksamkeit habe ihn damals fast seine Anstellung gekostet.
Sein Blick fällt auf die über den Boden verstreuten Seiten des Advocate , die Jemma verwendet hat, um ihre Gemälde einzuwickeln. »Die Zeitungen behaupten, den Zeitpunkt des Geschehens wiederzugeben. Doch in Ihren Gemälden ist mehr Wahrheit, Mrs. Voletta, als in einer ganzen Ausgabe vom Advocate .« Er grinst. »So wie man dort mit Worten um sich wirft, ist das eine Beleidigung echten Schlamms und Schmutzes.« Bei aller Leichtigkeit ist es ihm ernst damit. Echter Schlamm hat die Vergangenheit konserviert. Und kennt keine Vorurteile, keine Mutmaßungen über Richtig und Falsch oder Maßstäbe, wie die Welt zu sein hat.
»Da spricht der Geologe«, lacht Jemma. »Ich bin Ihnen dankbar, Mr. Byrne, mehr als ich das ausdrücken kann. Aber da die Ausstellung jetzt kurz vor ihrer Eröffnung steht, frage ich mich ständig, warum um alles in der Welt ich sie machen wollte. Wenn ich meine Bilder ansehe, die hier an den Wänden hängen, fühle ich mich …«, sie hält inne und holt tief Luft, »schmerzhaft entblößt. Der Kritik, der Lächerlichkeit, der Verachtung preisgegeben.«
Mit sanfter Stimme sagt Nathaniel Byrne: »Nicht von allen.«
Ein Beben erfasst Jemma, als seine Stimme tief in ihrem Inneren nachhallt. Sie bückt sich, um ein Gemälde aufzuheben, das sie hatte aufhängen wollen. Bei ihren Gesprächen findet der tatsächliche Austausch nicht mittels ihrer Worte statt. Sondern in den Vibrationen, die sich zwischen ihnen bewegen wie eine über Draht vermittelte telegrafische Nachricht.
Sie hebt das Gemälde an die Wand, hat aber Mühe, es an den Haken zu hängen. Gerahmt ist es schwerer, als sie gedacht hat. Als ihr Arm zu zittern
Weitere Kostenlose Bücher