Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
behandeln und mit den leidenden Tieren gut umzugehen wissen. Trotz all seiner Proteste ist Gotardo stolz auf seinen Ruf und die diesbezügliche Wertschätzung. Nach seinem Erfolg im Winter hat er keinen Grund, an seinen Fähigkeiten zu zweifeln.
Und deshalb ist er fassungslos, als Laddie am Morgen vom frühmorgendlichen Vieheintrieb nur mit einem Viertel der Herde zurückkommt. Er ruft den Hund zu sich, und gemeinsam brechen sie im grauen Licht der Dämmerung zu ihrem Gang über die Weiden auf. Aus der Ferne erinnern seine im Gras liegenden Kühe an große, glatte Felsen, die ein prähistorischer Stamm sorgfältig arrangiert hat, um die Wintersonnenwende zu markieren. Dann hört er das trockene Husten, das Unheil verkündende Röcheln, und Gotardo fängt zu rennen an. Er geht von einer Kuh zur anderen, ruft sie beim Namen, untersucht ihre Zungen und Augen, zwingt sie aufzustehen, während Laddie sie wie verrückt kläffend umkreist. Bald schon steht fest, dass die meisten Kühe gar nicht aufstehen können. Sie zeigen kein Interesse an dem Heu, das Gotardo ihnen anbietet, und als er die Mischung verabreicht, die die Herden der anderen Bauern auf so wunderbare Weise wiederbelebt hat, ändert auch das nichts.
In den darauffolgenden Tagen stellt Jemma sich die Frage, ob sich nicht auch Gotardo das Fieber eingefangen hat. Er schläft bei den Kühen im Stall, presst ihnen feuchte Nesseltücher auf ihre herausgestreckten Zungen und singt ihnen Lieder aus den Bergen vor, bis er keine Stimme mehr hat. In seiner Verzweiflung nimmt er das Horn von der Wand, und als die Luft von den Klängen widerhallt, welche die felsigen Berghänge und Weiden am See heraufbeschwören, öffnen ein paar der leidenden Tiere ihre Augen und stützen sich mühsam auf ihre wackeligen Vorderbeine, ehe sie zu zitternden Haufen zusammenfallen. Er muss dabei an Lucys Krabbelversuche denken, wie sie auf dem Bauch lag und ihren Kopf wie eine neugierige Schildkröte hob, während Arme und Beine durch die Luft schwammen, bis ihre Stirn auf den Boden knallte. Trotz all ihrer Enttäuschung war es ein komischer Anblick. Aber das hier hat nichts Komisches – seine geliebten Tiere sind so schwach, dass sie hilfloser sind als ein neugeborenes Kalb.
Eines Abends taucht Gotardo an der Küchentür auf, die Augen verquollen, die Wangen dunkel von Bartstoppeln. Jemma hat ihn die ganze Woche kaum gesehen und ist entsetzt, wie ausgezehrt er aussieht.
»Es ist vorbei«, verkündet er. »Mit allen. Sie sind tot.«
Jemma schließt seinen schaudernden Leib in ihre Arme, es ist das erste Mal, dass sie ihn weinen sieht. Wie all diese zuverlässigen, starrsinnigen Tiere mit ihrem grasigen Atem und den prall mit Milch gefüllten Eutern so rasch ihren Geist aufgeben konnten, ist unbegreiflich. Diese zuverlässigen Tiere, die sie so oft verflucht hat und aus ihrem Leben verbannen wollte – obwohl sie sich das nie herbeigesehnt hat. Noch vor zwei Wochen hatten sie eine Herde von fünfzig Tieren, jetzt kein einziges mehr. Mögen Gotardo und sie auch ihren Lebensunterhalt verloren haben, so haben sie noch immer einander und Lucy. Gotardo wird sie mehr denn je brauchen, und sie muss ihn auf jede nur erdenkliche Weise unterstützen. Sie hatte gehofft, durch die Ausstellung etwas Geld einzunehmen, aber nur zwei frühe Werke verkaufen können. Die paar kurzen Notizen in den Zeitungen fielen aus wie von ihr erwartet. Gedämpftes Lob für ihre frühen Gemälde, jedoch Bestürzung angesichts der späten. Ein Kritiker ließ sich gar zu der Bemerkung hinreißen, diese späteren Werke machten den Eindruck der »Dekomposition«. Diese Bemerkung hätte Jemma sich zu Herzen genommen, wäre sie nicht eben erst Zeugin der Zerstörung von Gotardos Herde geworden, was ihr die wahre Bedeutung von Dekomposition vor Augen führte. Wenigstens ist ihr jetzt klar geworden, worauf es wirklich ankommt und was getan werden muss. Darüber hinaus darf es keine »zufälligen« Begegnungen mehr mit Mr. Byrne geben.
Matt erwidert Gotardo ihre Umarmung, für Worte viel zu niedergeschlagen.
Der Graben ist so tief, wie Gotardo groß ist. Würde jemand vorbeikommen, wäre er darin unsichtbar. Feuchte Erdklumpen fliegen heraus und landen wie Kuhfladen im Gras. Er bückt sich und gräbt und wischt sich gelegentlich mit dem Handrücken über die Stoppeln seines Kinns, den Bartschatten, den er sich hat wachsen lassen, um seinen Kummer und seine Scham zu verbergen. Er hätte die Kadaver in den verlassenen Schacht
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