Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
anfängt, ist er plötzlich direkt hinter ihr und greift über ihre Schultern hinweg an den Holzrahmen. Sie spürt seinen heißen Atem in ihrem Nacken.
»Danke, Mr. Byrne, ich schaffe das schon«, sagt sie, obwohl jedes Atom ihres Körpers sich nach ihm sehnt.
Nachdem das Gemälde am Haken hängt, lässt Nathaniel es los und tritt einen Schritt zurück. Er hat schon viele Frauen begehrt, aber so sehr noch nie, und es schockiert ihn, wie anders es ist. Und er muss an Betsys Worte denken. Dass es eines Tages passieren würde, dass es auch ihn treffen, hart treffen würde. Und wie recht sie hatte. Diese eine Frau, die er begehrt, ist unerreichbar für ihn. Das ist seine Strafe: sein Herz zu spüren, als klopfe eine Faust gegen eine geschlossene Tür.
Während er dasteht und nicht weiß, was er als Nächstes tun soll, huschen seine Augen über das Gemälde des ausgebrannten Gehöftes und entdecken überrascht etwas, das ihm zuvor nicht aufgefallen ist: Eine Gestalt in der Landschaft, das kleine Mädchen, Lucy Voletta, das im Schatten spielt. Man musste im richtigen Abstand und Winkel stehen, um sie zu erkennen, doch war dies der Fall, gestaltete sich das ganze Bild um sie herum neu und wurde belebt von dieser kleinen Elfe, die sich so leichtfüßig bewegte, dass sie kaum den Boden zu berühren schien.
Er will etwas dazu sagen, als Jemma leise meint: »Ich denke, Sie sollten jetzt besser gehen, Mr. Byrne.«
Sie schauen einander an, wagen es aber nicht, noch etwas zu sagen.
Aus Angst nachzugeben wendet Jemma sich von ihm ab und wartet, bis seine Schritte verhallt sind.
Was soll sie jetzt mit sich anstellen? Der Raum um sie herum, das ganze Gebäude atmet den Schmerz seines Verschwindens. Sie setzt sich auf einen Stuhl, wirft ihren Kopf in den Nacken und starrt die Decke an. Sie muss an seine Hände denken, als diese den Rahmen hielten. Jeder Zentimeter von ihr sehnt sich nach seiner Berührung.
Wie hatte sie das zulassen können? Und doch war nicht wirklich etwas passiert. Nichts und alles. Jemma legt ihre Hand auf ihren Mund, um den Drang loszuschreien zu ersticken. Damit wird sie jetzt leben müssen, mit dieser bedrängenden Erkenntnis jenes anderen Lebens, das sie hätte leben, der anderen Person, die sie hätte sein können. In ihr wurde etwas geweckt, das nicht wieder in den Schlaf zurückgeschickt werden konnte. Etwas, das im Dunkel gedieh, wie jene mythischen Geschöpfe tief unten im Meer oder in den Eingeweiden der Erde. Sie hatte genug Ovid gelesen und lange genug gelebt, um begreifen zu können, dass das menschliche Verlangen nicht zu bändigen ist.
Doch bis jetzt wusste sie gar nichts.
23
Seit Laddie zu ihnen gehört – eine Promenadenmischung mit rötlichem Fell und einem weißen Punkt über einem Auge –, bläst Gotardo nicht mehr in sein Horn, wenn er die Kühe zum Melken ruft. Eifrig bemüht, die Anerkennung seines neuen Herrn zu gewinnen, lernte Laddie sehr rasch, die Milch tragenden von den trockenen Kühen zu unterscheiden und jede aus der Herde zu holen, die Gotardo ihm benannte. Das Horn wurde in den Ruhestand versetzt, das Messing poliert, bis es wie Gold glänzte, und jetzt hängt es an seiner roten Kordel über dem Kamin, wo Besucher es bewundern. Doch es wird dort nicht lange hängen, denn die Zeit, da Gotardo seinen Anblick nicht mehr ertragen wird, weil es eine zu schmerzhafte Erinnerung an all das ist, was er verloren hat, rückt immer näher. Er wird es in einer Teebüchse verstauen, wo es ungesehen in der Dunkelheit Patina ansetzen wird.
In den letzten Tagen hat Gotardo eine gewisse Lustlosigkeit in seiner Herde festgestellt. Wenn er ruft, kommen die Kühe nicht so eifrig angetrottet, sondern schleppen ihre Hufe wie schmollende Kinder hinter sich her. Die Hitzewelle der letzten Tage hat sie offenbar umgehauen, Gotardo selbst ist auch apathisch. Und so macht er sich auch keine allzu großen Sorgen. Die Lungenseuche, der im vergangenen Winter so viele Tiere in diesem Bezirk zum Opfer fielen, verschwand, als das Frühjahr kam, und ihr Verschwinden wurde weitgehend ihm zugutegehalten. Er betonte immer wieder, dass seine Behandlung dieser Seuche nichts Besonderes sei – eine Standardmischung von pulverisiertem Eisensulfat, Glaubersalz, Salpeter, Pottasche, Brechweinstein und Kampferpulver. Aber die Bauern, um deren Herden er sich gekümmert hat, sind voll des Lobs über seine »beruhigende Berührung«. Jedermann weiß, dass die Schweizer diese Krankheit schon seit Jahrhunderten
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