Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
am nördlichen Ende seines Grundstücks werfen und dann mit Kalk und Lehm bedecken können, aber Gotardo ist entschlossen, für seine Tiere ein richtiges Grab zu schaufeln. Sie sind Nachkommen der Herde seines Ururgroßvaters, so wie er der Nachkomme von Generationen von Viehbauern ist, die jahrhundertelang Angriffen und Hungersnöten trotzten, um ihren Familien in jenem isolierten Tal seiner Geburt ein Überleben zu sichern. Aber jetzt muss er vermutlich seiner toten Herde tief in die Erde folgen, wird sich an ein unterirdisches Dasein blinden Tunnelgrabens gewöhnen müssen, denn was soll er sonst tun? Für ihn steht fest, dass Gott von ihm Buße einfordert für seinen hochmütigen Stolz, seinen Verrat an Felice. Er hat die Katastrophe selbst über sich und seine Familie gebracht, und so scheint es ihm nur angemessen, dass er nun, nach einem Leben in frischer Gebirgsluft, dazu verdammt sein soll, seine Tage in den übel riechenden feuchten Erdlöchern einer tiefen Erzmine zu verbringen. Seine Brüder haben ihm einen Anteil an ihrem Unternehmen angeboten, und so unbehaglich ihm der Gedanke an eine Partnerschaft mit ihnen auch ist, kann er es sich doch nicht leisten, das Angebot auszuschlagen.
Gotardo sticht mit der Schneide seiner Schaufel in den Lehm und berechnet den Raum, den er für die Kadaver der fünfzig Kühe benötigt. Seine Ohren foppen ihn noch immer mit dem schwachen Gebimmel der Kuhglocken. Aber er hat nicht nur seine Herde verloren. Seine Vergangenheit, seine Kindheit, der Mann, der er einmal war, ist mit ihnen gestorben und hat ihn leer wie seine Weiden zurückgelassen. Plötzlich prallt seine Schulter zurück, als die Schaufel auf Fels stößt. Er holt noch ein paar Mal aus, aber erfolglos. Er hat auf Fels gehauen und ist am Tiefpunkt angelangt. Ihn schwindelt vor Erleichterung. Tiefer geht es nicht. Seine Füße patschen im Wasser, das durch seine Stiefel eindringt, wo sich die Sohle gelöst hat. Er inspiziert seine Stiefel und überlegt, dass er sie reparieren muss, bevor sie auseinanderfallen. Und da drängt sich ihm wie eine göttliche Vorsehung ein Gedanke auf. Eine Lösung. Er braucht nicht hinunter in die Minen zu steigen oder sich auf die dubiosen Geschäfte seiner Brüder einzulassen. Er richtet sich auf, im Blick noch immer seine Stiefel. Es gibt einen Weg, noch etwas von den Resten seiner Tiere und dem Rest seines Stolzes zu retten. Es wird Jahre dauern, bis er wieder Fuß gefasst hat, aber er wird wie ein Maultier arbeiten und eines Tages eine neue Herde kaufen. Und er weiß mit unerschütterlicher Gewissheit, dass man das unter göttlicher Gnade versteht.
Jemma kann nur vermuten, dass das Entsetzen und der Kummer für sein merkwürdiges Verhalten verantwortlich sind. Ganz geheimniskrämerisch hat er sie plötzlich gebeten, die Weiden oder auch den Stall nicht mehr aufzusuchen. Aus der Ferne hat sie ihn zusammen mit Pliny Serafini die Kadaver in den Stall schleppen und später dann auf den Karren laden sehen, um sie zu dem Massengrab zu transportieren, das Gotardo im hintersten Winkel des Grundstücks ausgehoben hat. Sie hat die beiden auch im Busch verschwinden sehen, von wo sie dann mit Armladungen voll Akazienrinde wieder auftauchten. Vielleicht, überlegt sie, vollziehen sie ein altes Ritual aus ihrer schweizerisch-italienischen Heimat, einen abergläubischen Ritus, in den Gotardo sie nicht einweihen möchte. Davon scheint es viele zu geben. Oft gehen die Männer bei abnehmendem Mond ins Holz, weil es dann angeblich kräftiger sein soll und weniger leicht bricht, da die Säfte sich zurückgezogen haben. Außerdem geht das Gerücht um, Bonetti der Bäcker sei schuld an dem McQueen-Mord, denn man sagt ihm den bösen Blick nach. Jemma zweifelt nicht daran, dass einige von Gotardos älteren Landsleuten sie für den Tod der Herde verantwortlich machen werden – durch ihre Weigerung, der Messe beizuwohnen, habe sie Gottes Zorn über sie gebracht.
Obwohl Gotardo eine Stunde lang im Waschhaus zugebracht hat, um sich mit Seife und Bimsstein abzuschrubben, ehe er zum Abendessen hereinkommt, vermag er nicht alle Spuren von Blut und anderen merkwürdigen Flüssigkeiten zu tilgen, mit denen sein Körper und seine Kleidung bespritzt sind. Jemma erträgt das Geheimnis von Gotardos Ausflüchten nicht länger und schleicht sich eines Abends, als ihr Mann schläft, aus dem Bett, legt sich ein Tuch um ihre Schultern und nimmt eine Laterne mit, damit diese ihr den Weg über die feuchten Weiden
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