Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
zweihunderttausend Jahre alt. Sein Ausbruch habe Eingang in die mündlich weitergegebenen Legenden der Ureinwohner gefunden.
Jemma lässt ihren Blick über das Weideland schweifen, während der Zweisitzer über den harten, unnachgiebigen Boden holpert. Sie weiß, dass sich um den Mount Franklin Geschichten ranken. Trotz all des saftigen Grases, das in seinem Krater wächst, wird kein Bauer in diesem Bezirk seine Herde hier weiden lassen. Und Bergleute, die einen Schacht in den Kraterboden trieben, verließen den Ort sehr schnell wieder, als der Boden hohl zu klingen begann. Denn sie bildeten sich ein, jeden Moment die Kruste der Erde zu durchbrechen und dann in die Tiefen ihres glühenden Kerns zu stürzen.
Sie spricht ihn auf die Angst der Bergleute an. »Könnte das passieren?« Doch sie bedauert ihre Frage sogleich. »Zweifellos eine törichte Vorstellung.«
Nathaniel lacht. »Diese Idee hat durchaus etwas Zwingendes.« Schließlich sei der Fels auf dem Grund des Kraters sehr leicht. Erkaltete Lava. Die tatsächlich hohl klinge. Darunter jedoch sei der vulkanische Pfropfen abgekühlt und habe sich zu schwarzem Felsgestein verfestigt. Sodass niemals die Gefahr bestanden habe, sie könnten im freien Fall in den Erdmittelpunkt stürzen. Doch dass man dort nach Gold suche, sei verständlich. Wie ein Flaschengeist, der seinen Schatz bewache, sitze der Mount Franklin auf einigen vielversprechenden, aber unerreichbaren tiefen Erzadern.
Er erzählt ihr von den Erdzeitaltern, welche die umgebende Landschaft geformt haben, berichtet von Krustenverdickungen und vergrabenen Flüssen, von Aufwölbungen und Verwerfungen und antiklinalen Falten und vom Land, das sich aufgebläht hat wie eine gewaltige Blase, als von unten das Magma drückte.
Über die Entstehung der Erde und die rastlose Aktivität in ihren Tiefen hatte Jemma sich erst Gedanken gemacht, als sie Mr. Ruskin zu lesen begann. Für Ruskin waren Steine, Mineralien und Felsen die Grundlage großer Kunst. Obwohl sie es für unter ihrer Würde gehalten hatte, begann ihre Lehre bei ihm mit einer Übung, die es verlangte, einen Stein zu zeichnen. Würde man die Rundheit eines Steins genau erfassen können, behauptete er, wäre auch alles andere möglich. Nach und nach hatte sie die Wichtigkeit dieser einfachen Lektionen eingesehen, und seine Bewunderung für ihn wuchs.
Sie berichtet Mr. Byrne, dass sie sich noch immer durch die vielen Kapitel von Mr. Ruskins Moderne Maler kämpfe, in denen es um die Problematik der Gebirgsbildung gehe.
»Wenn Sie irgendwelche Fragen haben sollten«, sagt er, »wissen Sie ja, wen Sie fragen können.«
Während Nathaniel Byrnes Augen auf die Straße vor ihm gerichtet sind, schielt Jemma heimlich auf sein Profil. Es tut so gut, mal aus dem Alltagstrott herauszukommen und sich mit neuen Themen zu befassen. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie schwach ihre Lebensgeister geworden waren und wie sehr sie sich mit ihren Gedanken quälte und im Kreis drehte. Sie ist froh, die Stadt hinter sich zu lassen, unter einem saphirblauen Himmel durch die offene Landschaft zu fahren und die häuslichen Aufgaben zu vergessen. Wieder sorglos zu sein. Ihr Herz weitet sich. Das von Mr. Byrne geschilderte geologische Schauspiel hat wahre Größe – der weißglühende Fels, der nach Spalten sucht, die Bergzüge, die durch Wüstenebenen brechen, der wie ein gewaltiges Ei aufbrechende Erdball, das Auftauchen und Verschwinden der Ozeane, während die Erde sich verzehrt und neu erschafft.
»Mr. Ruskin sagt, eine Künstlerin müsse auch eine Geologin sein, wenn sie der Landschaft gerecht werden will, die sie malt.«
Nathaniel lacht. »Und was sagen Sie dazu?«
»Dass ich keine Zeit gehabt habe, Felsen zu studieren.«
»Absolut verständlich. Aber was für einen großartigen Künstler ergäben wir beide in Kombination!«
Ohne Vorwarnung schleudert die gefurchte Straße sie in gewaltsamer Kollision gegeneinander. Trotz all ihrer Bemühungen, sich aufrecht zu halten, wird Jemma gezwungen, an seiner Schulter nach Halt zu suchen. Nathaniel gerät mit dem Zweispänner ins Schwanken und bleibt einen Moment an sie gedrückt, ehe er wieder zurück auf seinen Sitz findet, wobei um seine bebenden Lippen ein winziges Lächeln spielt. Jemma fragt sich, ob er ihr Herz klopfen hört.
Während sie in den Krater hinabfahren, lässt der Wind nach, doch es gibt kaum Anzeichen darauf, dass sie sich im Schlund eines Vulkans befinden. Genauso gut könnten sie eine sanfte Böschung
Weitere Kostenlose Bücher