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Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fiona Capp
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erhellt. Die große Holztür des Stalls schwingt auf, und anfangs kann sie sich keinen Reim auf die Gestalten machen, die vor ihr in der Luft schweben. Sie schwenkt die Laterne von Seite zu Seite, bis ihr Gehirn langsam einen Wald von Kuhhäuten registriert, die wie riesige Flughunde von den Sparren hängen. Sie geht durch den Korridor gegerbter Häute, berührt die weicheren, kleineren Häute und muss dabei an die Kälbchen denken, die sie mit einer Babyflasche von Hand aufgezogen hat. Am hinteren Ende des Stalls stehen ein großer Holzzuber und ein großer Waschkessel voll teefarbener Flüssigkeit, die nach Akazie riecht.
    Sie hört Schritte, und bald darauf taucht Gotardo mit einer Kerze in der Hand in der Tür auf. Mit dunklen Schatten unter seinen Augen.
    »Ich wollte dich überraschen«, sagt er hilflos. Er wollte nicht, dass sie von den Häutungen erfuhr. Es war ein blutiges und schauderhaftes Geschäft. Er wollte alle Häute schon fertig aufbereitet haben, um ihr zu zeigen, dass nicht alles verloren war. Er erzählt ihr von seinem Onkel Clemente, einem Schuhmacher daheim in seinem Dorf. Als Junge habe Gotardo viele Stunden in dessen Werkstatt zugebracht und seinem Onkel beim Zuschneiden des Leders und beim Zusammennähen über den Holzschuhen zugesehen. Er selbst hätte diese Möglichkeit zwar für sich nicht ausgesucht, das habe Gott für ihn getan. Schließlich lassen sich aus den Häuten von fünfzig Tieren viele Schuhe machen. Eine Zeit lang werde er nun einfach Schuhmacher sein. Er müsse sich nur noch das Werkzeug besorgen.
    Jemma ist erleichtert, noch einen Funken des alten Gotardo in ihm aufflackern zu sehen. Ein Schuhmacher. So soll es sein. Dann haben sie wenigstens etwas, wovon sie leben können. Doch aus seinem Blick ist deutlich zu lesen, dass sein Schicksal ihn niedergedrückt hat, er durch den Verlust seiner Herde auch einen Teil von sich selbst verloren hat. Er bewegt sich steif und geht mit hängenden Schultern, als erwarte er den nächsten Schlag.
    »Eine Zeit lang wird es schwer werden«, meint er. »Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Die Volettas scheuen vor harter Arbeit nicht zurück, und wir haben zum Glück gute Freunde.« Er ringt sich ein Lächeln ab und hält den Kerzenhalter hoch, sodass das Licht auf das Gesicht seiner Frau fällt. »Du schämst dich doch nicht meinetwegen?«, flüstert er.
    Jemma zwinkert ihre Tränen zurück. Sie ist es, die sich schämen sollte. »Niemals, wie kannst du nur so etwas denken.«

24
    Als Jemma und das Kind an der Rennbahn und den Bocciabahnen neben dem See vorbeikommen, zupft Lucy an der Hand ihrer Mutter. Sie hat Onkel Battista und Onkel Aquilino unter den Männern erspäht, die jubeln, weil eine glänzende Gummikugel auf einen kleinen weißen Ball zugerollt ist. Als sie die Schreie ihrer kleinen Nichte hören, werfen die Onkel ihr mit übertriebener Gestik Kusshändchen zu. Jemma nicken sie nur zu. Sie erwidert diese knappe Begrüßung, nimmt ihre protestierende Tochter auf den Arm und geht weiter die Hauptstraße hinunter, wo Gotardo zwei Türen von Celestinas Tearoom entfernt sein Ladenschild aufgehängt hat.
    Jemma hat inzwischen Angst, Gotardos Leuten über den Weg zu laufen. So freundlich und gastfreundlich die Serafinis auch gewesen waren, weiß sie doch, dass sie diesen immer ein Rätsel bleiben und nie richtig dazugehören wird. Manchmal ertappt sie sie dabei, wie sie sie anstarren, als wäre sie eins von Mr. Darwins merkwürdigen neuen Geschöpfen, das sich in ihre Mitte verirrt hat. Nur von Celestina fühlt sie sich so angenommen, wie sie ist. Sie ist die ständigen Fragen leid, warum sie die Taufe des Kindes hinauszögert, und möchte auch nicht auf die besorgten Nachfragen Antwort geben, wie Gotardos Geschäft läuft, denn es läuft entmutigend schlecht.
    Jemma setzt Lucy an Celestinas Theke mit einem Zitronensirup ab, den sie mit einem Wachspapierstrohhalm trinkt. Nach zwei Stunden in ihrem Atelier kehrt sie zu Celestina zurück, und sie gehen dann auf dem Weg zu Gotardos Werkstatt gemeinsam zum Postamt.
    Als Jemma eintritt, blickt Gotardo kaum auf von seiner Bank, wo er den Absatz eines Frauenstiefels repariert.
    »Flicken«, sagt er angewidert. »Ich bin nur ein Flickschuster.« Jemma weiß, was er damit sagen will. Von den paar Shillings, die er durch Reparaturen verdient, können sie nicht leben. Erst ein Bruchteil vom Schweizer Gold wurde verkauft und ein Viertel der Häute. »Wo ist die Kleine?«
    »Bei Celestina.

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