Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
vonnöten. Wenn unsere Vereinbarung noch gilt, werde ich es Ihnen nächste Woche liefern. Danach dürfen wir einander nicht wiedersehen.«
25
Gotardo schließt seine Werkstatt zeitig und schlendert die Straße hoch zum Tearoom. Lucy erspäht ihn, sobald er durch die Tür kommt, und eilt zur Begrüßung auf ihn zu, wobei sie »PapaPapaPapa!« mit derart wilder Begeisterung ruft, dass er die fehlende Kundschaft und die Würdelosigkeit, alte Stiefel flicken zu müssen, vergisst und sie in seine Arme nimmt und seine Nase in ihre weichen, süß duftenden Locken drückt. Keiner auf der Welt begrüßt ihn derart hingerissen, keine bewundert ihn so wie sie. Wenn er sie ansieht, kann er sich noch immer darüber wundern, Anteil an ihrer Erschaffung zu haben: an diesem prachtvollen Kind mit den rosigen Wangen, das mit seinen großen braunen Augen verheißungsvoll in die Zukunft blickt. Lucy legt ihr kleines Pummelhändchen in seine große schwielige und führt ihn zurück zur Tür, wobei sie »Heim, Papa, heim!« trällert und Celestina fröhlich zuwinkt.
Mit einem Lutscher lässt sie sich dazu überreden, in den Kinderwagen zu klimmen, und sie zuckeln langsam zurück zum leeren Hof. Die Spätnachmittagssonne scheint auf ihren Weg, und Gotardo, der in die Betrachtung seiner Tochter versunken ist, wird davon verleitet, über das Malen von Porträts nachzudenken, wie es sein muss, stundenlang vor einer Person zu sitzen und diese in sich aufzunehmen. Diese schamlose Intimität, die dabei entsteht.
»Raus, raus!«, schreit Lucy, sobald sie das Haus erblickt.
Gotardo schichtet im Kamin jenes Winkels des Wohnzimmers, den er die Bibliothek nennt, (obwohl nur zwei Regale voller Bücher darin stehen) ein Feuer auf und legt sich zu Lucy auf den Boden. Sie spielen mit einem kleinen Holzfrosch auf Rädern und einer Schnur daran, den er zum ersten Weihnachtsfest gemacht hatte. Dunkel spürt er, dass sich in seinem Hinterkopf ein bohrender Gedanke eingenistet hat, den er eigentlich hatte verfolgen wollen, eine Überlegung, die er auf dem Heimweg angestellt hatte. Aber er ist durch seine Tochter zu sehr abgelenkt, um seine Gedanken zurückzuverfolgen. Ihr Interesse hat sich auf ein Buch im unteren Regal verlagert, und Gotardo muss schnell reagieren, um es vor ihren neugierigen Händen zu retten.
Die Gewohnheit, einander am Abend vorzulesen, haben Jemma und er inzwischen aufgegeben. Schon seit der Zeit vor Lucys Geburt sind ihre Abendveranstaltungen immer seltener geworden. Woran das lag, kann er selbst nicht sagen, ob es die Arbeit ist, die einen zu sehr fordert, oder ob ihre Begeisterung nachgelassen hat, weil das Ritual seinen Reiz verlor. Jemma verbringt abends, sobald Lucy bettfertig ist, immer mehr Zeit in ihrem Atelier, und wenn seine Frau dann ins Bett kommt, ist sie so müde, dass sie nur noch schlafen möchte. Bevor seine Kühe starben, war auch er oft erschöpft – im positiven Sinne –, nachdem er den langen Tag über gemolken und sich um die Tiere gekümmert und Butter und Käse gemacht hatte. Aber jetzt schläft er nicht mehr gut, weil er findet, dass er sich den Schlaf nicht verdient hat. Wenn er nicht schlafen kann, wickelt er sich in eine Decke und liest Platons Dialoge mit Sokrates in dieser Stellung. Diese Lektüre hat ihn dazu inspiriert, darüber nachzudenken, was es bedeutet, mit Würde zu leben und angstfrei die Wahrheit auszusprechen. Jemma, die den Hang hat, unverblümt ihre Meinung zu äußern, findet, dass er zu gefällig ist, zu zögerlich, auch mal Wind zu machen und für sich selbst einzustehen. »Zu gefällig?« probt er seine Verteidigung. »Ich bin davon ausgegangen, dass du froh darüber bist!«
Er ist in den Anblick der Flammen versunken, da bemerkt er, was Lucy im Schilde führt. Er war davon ausgegangen, dass sie die vom Feuermachen noch herumliegende Zeitung zerreißt. Doch überall um sie herum liegen wie frisch gerupfte Gänsefedern die Seiten seines Platons. Im Glauben, alles sei nur ein Spiel, lacht Lucy über den plötzlichen Aufschrei ihres Vaters. Als sie sieht, wie er sich auf die Seiten stürzt, fährt sie mit ihren Ärmchen dazwischen, sodass sie in die Luft fliegen, und dreht sich dann zwischen ihnen wie ein Wirbelwind. Normalerweise verpufft sein Ärger, wenn er ihr Kichern hört, aber in einem unerklärlichen Anfall aufwallenden Zorns zerrt er sie auf sein Knie. Lucys Quietschen wird zum Angstgeheul, während er ihr auf die zarte Hinterseite ihrer Schenkel schlägt. Anklagend wendet
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