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Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fiona Capp
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sie ihm ihr schmerzverzerrtes Gesicht zu. Gotardo sagt sich, sie müsse ihre Lektion lernen, doch ihm fehlt die notwendige Überzeugung. Was bedeutet schließlich schon dieses Buch? Es ist kein heiliger, unersetzbarer Gegenstand. Er kann sich immer ein neues kaufen oder ausleihen. Er versucht sie zu beruhigen, aber sie will sich nicht trösten lassen und rennt schluchzend zu ihrer Mutter, sobald Jemma, die im Atelier gearbeitet hat, das Haus betritt.
    Jemma beugt sich hinab zu ihrer schluchzenden Tochter, die sich an ihre Knie klammert. Zwar steht sie in der Küche, doch ein Teil von ihr ist noch immer am Mount Franklin. Während der ganzen Rückfahrt hatten Nathaniel und sie kein Wort miteinander gewechselt. Sie sah die Vulkanhügel vorbeiziehen und hielt sich aufrecht, um jegliche Berührung ihrer Körper zu vermeiden. Als sie die Stadt erreichten, nahm er ihre Hand, um ihr vom Zweisitzer herunterzuhelfen.
    »Das ist Folter, Jemma«, flüsterte er.
    Sie gab vor, es nicht zu hören. Er hatte recht, und deshalb konnte sie auch nichts darauf erwidern. Sie musste ihre ganze Kraft aufbringen, um nicht ihre Fassung zu verlieren. Musste sich ihrer Familie stellen. Durfte sich nicht erlauben, an etwas anderes zu denken.
    Und als sie jetzt Lucys kleinen Körper an sich drückt und den süßen Duft ihrer Haut riecht, sagt sie sich: »Das ist es, was zählt. Dieses kleine Geschöpf.« Und ihr Blick wandert weiter zu Gotardos traurigem Gesicht. »Und dieser Mann.«
    »Ich habe meine Beherrschung verloren«, seufzt Gotardo. Er hält die Reste des Buchs hoch.
    Jemma kann sich vorstellen, wie es passiert ist, wie er abgelenkt gewesen war. Er hat in letzter Zeit so viel ertragen müssen, und obwohl sie versucht hat, ihn zu unterstützen, kann sie nicht leugnen, dass ihre Gedanken anderswo waren.
    »O Lucy! Das Buch des armen Papa!«
    Das Gesicht des Mädchens verzieht sich, und es fängt wieder zu weinen an. Jemma nimmt ihre Tochter auf den Arm und gibt Gotardo zu verstehen, er solle zu ihnen kommen. »Eine große Umarmung, und alles wird wieder gut.« Das ist ihr Ritual, die große Umarmung, die alle Tränen trocknet.
    Gotardo schließt seine Arme um sie beide, und so verweilen sie mit leisen beruhigenden Lauten, bis Lucy zu weinen aufhört. Jemma lächelt Gotardo an, muss sich dann aber abwenden, weil sie befürchtet, er könne den Aufruhr in ihren Augen sehen. Aber es tut so gut, seine Arme zu spüren und zu wissen, dass die Zärtlichkeit, die sie für ihn empfindet, anhält. Seine Kraft und Festigkeit ist so beschaffen, dass es ihm vielleicht sogar gelingt, sie vor sich selbst zu schützen.
    In der folgenden Woche verbringt Jemma jede freie Minute im Atelier und arbeitet an dem Porträt, malt beim Licht der Rochester-Lampe bis spät in die Nacht hinein. Als das Bild fertig ist, bringt sie es nicht über sich, es auszuliefern. Das Gemälde ist das Einzige von ihm, worauf sie Anspruch hat, und sie möchte es festhalten, solange es geht. Jedes Mal, wenn Gotardo sich danach erkundigt, sagt sie ihm, es könne noch nicht besichtigt werden. Sie hat Angst vor dem, was er darin sehen wird. Angst, dass alles, was sie zu leugnen versucht hat, aus der Leinwand hervorbrechen und der Welt kundtun wird.
    Jemma betrachtet das Gemälde auf der Staffelei. Sie kann sich kaum daran erinnern, die Farbe aufgetragen zu haben. Nur an die prickelnden Momente hier und da, wenn sie seine Haut unter ihren Fingern spürte, während ihr Pinsel seinem Körper zum Leben verhalf. Und dennoch lehnt er dort an dem Granitfelsen, den Kopf leicht zurückgeworfen, als winke er sie herbei, die Lippen umspielt von einem Lächeln. Die scharfe Linie seiner kühnen Koteletten, die auf seine glatten Wangen übergreifen, als hätte er aus sich heraus Gestalt angenommen. Sie weiß, was er denken wird, wenn er das Porträt sieht, egal, was sie ihm erzählt. Er wird von ihr fordern, das zu gestehen, was ihr Pinsel bereits offenbart hat.

26
    Gotardo ist unten im Keller, als er es an der Tür klopfen hört. Eigentlich sollte er schon in seiner Werkstatt sein, aber er ist an diesem Morgen nur langsam in die Gänge gekommen. Jetzt sieht es so aus, als würde er noch länger aufgehalten werden. Er steigt auf die Leiter, bis sein Kopf auf Fußbodenhöhe ist, von wo aus er in der unvermittelten Helligkeit eine Gestalt in Polizeiuniform in der Küchentür stehen sieht. Obwohl ihm Marcus O’Brien schon öfter in der Stadt begegnet ist, haben sie nie miteinander gesprochen. Er

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