Sehnsucht
erfolglose und geniale »Koke«. Diesen Namen gab ihm Jahre später seine zweite, tahitianische Ehefrau, seine Vahine, wahrscheinlich weil sie den Namen Gauguin nicht aussprechen konnte, vielleicht aber auch nur als liebevollen Spitznamen.
Nachdem er sich für die Malerei entschieden hatte, verlieà ihn seine Wikingerin mit den mittlerweile fünf Kindern, kehrte zurück nach Dänemark und meldete sich fortan mit Geldforderungen, denen er nicht nachkommen konnte, weil er selbst nicht genug zum Leben hatte. Sie hatten in Rouen versucht, einen billigeren Lebensstil zu leben als in Paris, waren dann aber dochnach Dänemark gezogen, wo Mette Französisch unterrichtete und damit die Familie mehr schlecht als recht ernährte. Paul Gauguin schmerzte das Zerbrechen seiner Familie, aber innerlich war er glücklich.
Er zog in eine Künstlerkommune in die Bretagne, bevor er nach Arles in die Provence zu dem verrückten Holländer Vincent van Gogh ging. Dieser hatte den Genius in Pauls Malereien erkannt. Er selbst befand sich auf einem ganz schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn, und am Ende sollte der Wahnsinn den Genius töten. In seinen Lebenserinnerungen schreibt Gauguin von einem Abschiedsbrief van Goghs an ihn:
Lieber Meister (er gebrauchte diese Anrede nur dieses eine Mal), wenn man Sie gekannt und gekränkt hat, ist es würdiger, in gesundem Zustand als in einem erniedrigenden Zustand zu sterben. Er schoss sich eine Revolverkugel in den Bauch, und wenige Stunden später starb er im Bett, seine Pfeife rauchend, bei völliger geistiger Klarheit, voll Liebe für die Kunst, ohne Hass für die anderen. 19
Als van Gogh sich tötete, war er gerade mal 37 Jahre alt. Ein dreiviertel Jahr hatte es Paul geschafft, mit ihm in einer Künstlergemeinschaft zu leben, und am Ende war es für ihn im wahrsten Sinne des Wortes zu gefährlich geworden. Paul Gauguin war für Vincent van Gogh nicht nur ein guter Maler, von dem er zu lernen hoffte, sondern auch eine wichtige Person, die er in seine zunehmenden Wahnvorstellungen integriert hatte. Paul beschreibt den Anlass seines Abschieds sehr offen.
Wir gingen an demselben Abend ins Cafe. Er trank einen leichten Absinth. Plötzlich warf er mir Glas und Inhalt an den Kopf. Ich wich dem Wurfe aus, packte ihn unter den Arm, verlieà das Cafe, kreuzte den Victor-Hugo-Platz, und wenige Minuten später lag Vincent in seinem Bett, wo er nach wenigen Sekunden einschlief und erst am nächsten Morgen erwachte. Beim Aufwachen sagte ersehr ruhig: »Lieber Gauguin, ich erinnere mich dunkel, Sie gestern beleidigt zu haben.« »Ich verzeihe Ihnen gern und von Herzen, aber die Szene von gestern könnte sich wiederholen, und wenn ich getroffen würde, könnte ich die Herrschaft über mich verlieren und Ihnen an die Kehle gehen.« 20
Also reiste Gauguin ab und lieà Vincent allein zurück, das Experiment der Künstlergemeinschaft war offensichtlich gescheitert, aber später schrieb Paul Gauguin wohlwollend: Lese ich den Satz: »Die Zeichnung Gauguins erinnert ein wenig an die van Goghâs«, lächle ich. 21 Nach diesem komplizierten Lebensabschnitt ging er völlig entnervt für kurze Zeit nach Paris zurück, gab zum Abschied ein groÃes Fest und bestieg in Marseille, seiner zweiten Sehnsucht nach dem Paradies am Ende der Welt folgend, ein Schiff in Richtung Südsee.
Er war zweieinhalb Monate unterwegs, bevor er am Morgen des 9. Juni 1891 in Papeete auf Tahiti das Schiff verlieÃ. Er war 43 Jahre alt und sein Gepäck bestand zum groÃen Teil aus Leinwand, Farben und Staffelei. Sein Traum von der Südsee hatte mit seinem ersten Traum viel zu tun: Er wollte in einem Haus leben, von dem er direkt ins Meer springen konnte, und in diesem Haus sollten die Lichtverhältnisse so sein, dass er im Rausch des Lichts und der Farben grenzenlos malen konnte. Er nannte es das Haus der Wonnen (La maison du Jouir). Hier entstanden die Bilder, die ihn weltberühmt machen sollten â allerdings weniger zu seinen Lebzeiten.
Die meiste Zeit auf Tahiti verbrachte er in bitterer Armut. Seine wiederkehrenden Erkrankungen und Schmerzen, unter der er all die Jahre im tahitianischen Paradies litt, raubte ihm nicht nur viel Lebensfreude, sondern kostete ihn auch einen erheblichen Teil seines spärlichen Einkommens. Gegen Ende seines Lebens hatte sein Augenlicht immer mehr nachgelassen und um die
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