Sehnsucht
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Es scheint, als ob die Sehnsüchte schlafen und erst durch besondere Lebensereignisse geweckt werden. Zumindest lassen sie uns ruhig weiterleben, solange sie sich halbwegs im Einklang mit dem Leben befinden. Wenn der Mensch das Gefühl hat, sich in seinem Leben auf dem richtigen Weg zu befinden und sich schrittweise der Verwirklichung seiner Sehnsüchte zu nähern, dann entsteht ein stimmiges und gutes Lebensgefühl, das sich auch auf die Mitmenschen auswirkt. Wenn er aber von Gedanken der Unzufriedenheit gequält wird, wenn er das Gefühl hat, das Leben plätschere so dahin, werde gar nicht von ihm selbstbestimmt beeinflusst oder entwickele sich sogar in eine Richtung, die er gar nicht will, dann melden sich seine Sehnsüchte unmissverständlich deutlich.
Papa will nach Costa Rica
Anlass für die plötzlichen Sehnsüchte bei Ingo Münzer war eine kleine Feier zu seinem zehnten Dienstjubiläum. Er stand mitten auf der Feier mit einem Glas Sekt in der Hand und hatte auf einmal die konkrete Phantasie, das Gleiche werde sich in weiteren zehn Jahren zu seinem 20. Dienstjubiläum wieder ereignen. Ein Kollege und eine Kollegin wären vielleicht auch noch da, er selbst wäre dann der Dienstälteste und ginge so langsam auf die Rente zu. Seine Kinder wären bereits aus dem Haus, aber das Haus wäre immerhin abbezahlt, die Goldfische wären noch im Teich und aus dem Hobby wäre sein wichtigster Zeitvertreib geworden. Im Garten hätte er für die Enkelkinder ein Spielgerät aufgestellt, denn die Kinder würden sonntags mit den Enkelkindern kommen. Und der Papagei, den er vor drei Jahren seiner Frau geschenkt hatte, wäre gerade in der Pubertät seines Lebens. Die Urlaubsbilder von Mittelamerika, die ihm sehr viel bedeuteten, würde er sich zum 100. Mal ansehen, obwohl er sie alle vor seinem inneren Auge erscheinen lassen konnte. Und Ingo Münzer fühlte sich plötzlich alt, sehr alt.
Als er von der Feier nach Hause kam, war er sehr still und in sich gekehrt. Seine Frau merkte seine grüblerische Stimmung, fragte ihn, was los sei, aber er murmelte nur vor sich hin, es sei nichts Besonderes gewesen und ging früh ins Bett. Nachts träumte er von seinem Dienstjubiläum, nur dass ihm alle zum 20. gratulierten und bemerkten, dass das heute sehr selten geworden sei. Es war ein endloser Alptraum, von dem er sich losriss und viel zu früh aufstand, um nicht weiterträumen zu müssen. Am anderen Morgen war er schon wieder bei der Arbeit, als seine Frau und die 11-jährige Tochter am Frühstückstisch saÃen und die Mutter zur Tochter sagte, Papa wäre so abwesend und nachdenklich, sie mache sich Sorgen. Die Tochter sah ihre Mutter an und sagte zu ihr: Papa will nach Costa Rica . Daraufhin hatte die Mutter nichts mehr gesagt, weil sie wusste, dass es stimmte. Am Abend hat sie ihren Mann dann direkt darauf angesprochen; sie hat ihm nur gesagt, was die Tochter Miriam gesagt hatte, mehr nicht. Ingo Münzer hatte seine Frau etwas konsterniert angesehen und einfach nur Stimmt! gesagt. Und dann ging es in der Familie erst richtig los, die nächsten Wochen waren sehr turbulent.
Der 15-jährige Sohn Niklas hatte nur den Kopf geschüttelt und gemeint, die Familie könne ja alleine auswandern, er würde auf jeden Fall hier bleiben, nicht wegen seiner zickigen Freundin, sondern wegen seiner coolen Freunde, dem FuÃballverein, dem Abi und überhaupt. Sein Vater sei nun mal durchgeknallt, das mache er nicht mit. Frau Münzer hatte die nächsten zwei Wochen das Gefühl der Unwirklichkeit, als ob sie in einem Wattebausch lebe. Vor fünf Jahren hatten sie einen gemeinsamen Urlaub in Costa Rica verbracht, sie waren von San José nach Limon im Nordosten an die Küste gefahren, waren in Garza und Tambor auf der Halbinsel Nicoya gewesen und hatten sich auf der Rückreise noch Monteverde angesehen. Ingo hatte seiner Familie zeigen wollen, wo er als junger Mann nach seinem Abi mit seinen beiden Freunden herumgereist war. Drei Monate hatte Ingo Münzer damals eine kleine Reise durch die Mittelamerikanischen Staaten mit seinen Freunden gemacht, bevor er mit dem Elektrotechnik-Studium begonnen hatte. Sein Vater hatte ihm damals als Belohnung für das gute Abi den Flug geschenkt, weil er selbst auch gern dort gewesen wäre. Ingo war mit seinen Kumpels von Mexiko bis Panama immer auf der Panamericana mit Bussen von
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