Sehnsucht
im Mittelpunkt zu stehen, alle Aufmerksamkeit, vordergründige Liebe und medial fragwürdige Bedeutung zu bekommen, dann kann ein plötzliches Ausbleiben das Kind in ein tiefes Loch an emotionalen Verlusten und Selbstwertproblemen stürzen. Und auch, wenn der Erfolg dauerhaft zu sein scheint, besteht eine tiefe Angst vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit, sobald ein anderes Kind auftaucht, das diese besondere Begabung noch perfekter beherrscht.
Manchmal haben solche Kinder es leichter, zu einem Wunderkind zu werden, weil sie berühmte Fürsprecher haben. Kit Armstrong ist mit seinen 17 Jahren nicht nur ein begnadeter Pianist, sondern kann auch schon ein abgeschlossenes Studium in Musik und Mathematik vorweisen. Bereits mit sieben Jahren war er derjüngste Student, den es in Kalifornien jemals gegeben hatte. Der groÃe Alfred Brendel nannte ihn ein richtiges Wunderkind und unterstützte seine Karriere. Seine alleinerziehende Mutter hatte jahrelang damit zu tun, ihr hochbegabtes Kind in die verschiedenen Schulen, Seminare und Veranstaltungen zu fahren. Bereits im Kindergarten hatte er Bücher über Musik gelesen und begonnen zu komponieren. Heute gilt er manchen bereits als Mozart des 21. Jahrhunderts.
Ãberhaupt Mozart!
Was hat sein Vater Leopold nicht alles angestellt, wie viele beschwerliche Reisen hat er unternommen, um dieses Wunderkind Wolfgang Amadeus an allen berühmten und reichen Häusern Europas vorzustellen. Der Stolz des Vaters Leopold ist mehr als nachvollziehbar, welcher Vater wäre nicht unglaublich stolz, Wolfgang Amadeus Mozart als seinen Sohn zu haben? Aber es gibt etwas Getriebenes in der Vater-Sohn-Beziehung, als ob der Vater endlich durch seinen Sohn die späte Möglichkeit erhalten hätte, seinem eigenen Leben eine neue und gröÃere Bedeutung zu geben und sich endlich Sehnsüchte erfüllten, die in seinem Leben bis dahin ungestillt geblieben waren. So schreibt er in einem Brief vom 10. November 1766:
Jeder Augenblick, den ich verliehre, ist auf ewig verlohren, und wenn ich jehmals gewust habe, wie kostbar die Zeit für die Jugend ist, so weis ich es itzt. Sie wissen, dass meine Kinder zur Arbeit gewohnt sind: sollten sie aus Entschuldigung dass eines das andere verhindert sich an müÃige Stunden gewöhnen, so würde mein ganzes Gebäude über den Haufen fallen. 53
Wolfgang Amadeus und seine Schwester Nannerl, die Leopold 1766 mit auf die Reise nach London genommen hatte, erkrankten gerade auf dieser Tournee so schwer, dass man mit ihrem Sterbenrechnete 54 . Auch Leopold hatte diese Angst und deshalb gleich Medikamente mit auf die Reise genommen. Aber er musste diese Reise antreten, wie so viele andere auch und konnte dabei auf die dauerhafte Krankheit seines genialen Sohnes keine Rücksicht nehmen, er war eben auf einer gottgegebenen Mission .
Leopold war der Sohn eines Buchbinders, der sein Studium abbrach, weil er sich mehr für Musik interessierte. Aber er war nicht besonders talentiert oder erfolgreich und kam nicht über einen Vizekapellmeister und vierten Violinisten in der Salzburger Hofkapelle hinaus. Im Jahre 1756, als sein Sohn Wolfgang Amadeus geboren wurde, hatte er sein Büchlein Versuch einer gründlichen Violinschule veröffentlicht, wodurch er zum zweiten Violinisten aufstieg. Mit seiner Frau hatte er sieben Kinder, von denen aber nur die beiden Musikgenies Maria Anna und Wolfgang Amadeus das Erwachsenenalter erreichten. Maria Anna, genannt Nannerl, hatte für die Biografieforschung ihres Bruders einen besonderen Beitrag geleistet, sozusagen aus erster Hand. Bereits ein Jahr nach dem frühen Tod ihres Bruders mit nur 35 Jahren wurde sie von dem Historiker Friedrich Schlichtegroll um die Beantwortung einiger Fragen gebeten, die dann als Data zur Biographie des Verstorbenen Tonn-Künstlers Wolfgang Mozart bekannt wurden. Dort schreibt sie über ihren Vater und die Anfänge der musikalischen Erziehung seiner Kinder: Da ihm von 7 Kindern nur eine Tochter, Maria Anna und dieser Sohn Wolfgang Gottlieb bey leben blieben, so gab er sowohl die Unterweisungen auf der Violin als auch das componiren ganz auf, um auÃer seinem hochfürstlichen Dienste die übrige Zeit auf die Erziehung seiner zwey Kinder zu wenden . 55 Man kann durchaus sagen, dass der Vater Leopold begann, für seine Kinder und vielleicht auch durch sie zu leben. Als wolle er die toten fünf Kinder und seine
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