Sehnsucht
Menschen werden Vorsitzende in Vereinen, kaufen sich besonders schnelle oder teure Autos, gehen in Talkshows, prahlen gern mit ihren vermeintlichen Errungenschaften oder gar Heldentaten oder erzielen als Väter oder Mütter von Wunderkindern eine zweifelhafte Bedeutung. Ausgangspunkt dieser narzisstischen Projektion ist also ein emotionales Minderwertigkeitsgefühl, das für den Betroffenen schwer zu ertragen ist und das er daher zu kompensieren versucht. Das eigene Kind bietet sich dazu an, denn es ist ja das eigene Fleisch und Blut. Es wird als ein verlängertes Selbst, als Fortsetzung der eigenen Person und des eigenen Lebens angesehen, so dass die Leistungen und Bedeutungen des Kindes auch als die eigenen erscheinen. Der Narziss sonnt sich im Glanze seines Kindes. Dies geschieht in der Regel unbewusst und wird daher auch auf einer rationalen Ebene stets bestritten. Denn wenn dies offen eingestanden werden könnte, dann wäre damit auch das Eingeständnis der eigenen Minderwertigkeitsgefühle verbunden, die ja gerade nicht mehr gespürt werden können und sollen. So werten die Erfolge des Kindes die Bedeutung der Eltern auf, es steckt in der Bewunderung des Kindes auch eine Bewunderung dieser einmaligen Eltern. Da die Leistungen des Kindes aber nicht wirklich eine Leistung der Eltern darstellen, müssen sie stets erneuert und wiederholt werden. So wird das Kind süchtig nach Bewunderung, weil es nur auf diese Weise die Liebe der Eltern erhalten kann und die Eltern werden süchtig nach dem Wunderkind-Status des Kindes, weil ihr eigenes Seelenheil davon abhängt. Beide sind in einer Beziehungsfalle, in einer schicksalhaften Weise aneinander gebunden und dabei zum Erfolg verdammt.
Wie können die Kinder sich gegen solche offenen oder verdeckten Delegationen wehren? Sie können sich verweigern, Partys feiern und Drogen nehmen, oder einfach den Erfolg einstellen, aber dann verlieren sie häufig nicht nur selbst viel Aufmerksamkeit, Bedeutung und Geld, sondern auch die Liebe der Eltern. Sie können den Auftrag an die Eltern zurückgeben, return to sender . Aber dazu müssen sie es erst einmal bemerken, es muss ihnen bewusst werden, dass sie nicht ihr eigenes Leben führen und in Delegationen eingebunden sind. Zudem werden sie immer als undankbar bezeichnet und vielleicht verstoÃen, wenn sie die nicht gelebten Sehnsüchte oder die Minderwertigkeitsgefühle der Eltern als Ursache ihrer Delegationen thematisieren. Man muss stets bedenken, dass diese narzisstischen Eltern äuÃerst empfindlich und sehr leicht zu kränken sind. Eine besondere Möglichkeit der Gegenwehr besteht für solche Kinder durch subtile Abgrenzung. Sie verhalten sich dann so, als ob alles in Ordnung wäre und sie das Leben der Eltern gar nicht infrage stellen, eigentlich aber selbst ein gänzlich anderes Leben führen und andere Ziele verfolgen. Dann bleiben sie weiterhin die lieben Kinder, grenzen sich aber auf besondere Weise ab und nehmen damit Korrekturen am elterlichen Lebenskonzept vor.
Die Korrekturen
Kinder versuchen in einem fast natürlich erscheinenden Prozess kultureller Reifungsentwicklung später als Erwachsene alles besser zu machen, als sie es früher bei ihren Eltern erlebt haben. Manchmal sind dies nur kleine Fortschritte, wenn sie dann nur Wein anstatt Schnaps trinken, wenn sie ihre Kinder nur anschreien anstatt sie zu schlagen, oder wenn sie es schaffen, sich vorher von ihren Partnern zu trennen, bevor sie von diesen verlassen werden. Natürlich ist dieser Weg zu gröÃerer kultureller Reife von einer Generation zur nächsten gepflastert mit Rückschritten und Missverständnissen. Vielleicht war die Beziehunggar nicht beendet und der Partner wollte sich gar nicht trennen, vielleicht ändert der Wein nichts an der Suchterkrankung, sondern nur am Suchtmittel und vielleicht erleben die Kinder das Anschreien als fürchterlich und freuen sich nicht im mindesten darüber, dass sie anstatt dessen nicht geschlagen werden. Aber für die betroffenen Eltern liegt in der Regel der kulturelle Fortschritt darin, auf jeden Fall nicht so wie die eigenen Eltern zu sein.
Wer als Kind geschlagen wurde, der hat schmerzlich erleben müssen, was Kontrollverluste für Kinder bedeuten können. Diese Kinder nehmen sich dann für ihr späteres Erwachsenenleben vor, jeden Kontrollverlust zu vermeiden, indem sie alles unter Kontrolle behalten. Je besser
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