Sehnsucht
eigene MittelmäÃigkeit vergessen lassen, trieb er seinen Sohn Wolfgang Amadeus an. Als Wolfgang dann mit erst 35 Jahren starb, war vollkommene Erschöpfung eine nicht unbedeutende Ursache seines Todes. Allein in Wien ist Mozart mehr als ein Dutzend Malumgezogen und seine beschwerlichen Reisen führten ihn noch zwei Jahre vor seinem Tode nach Prag, Dresden, Leipzig, Potsdam und Berlin.
Wahrscheinlich hatte Wolfgang schon intrauterin die ersten musikalischen Früherfahrungen gemacht, denn im Hause Mozart wurde immer musiziert. Die Lehre beim Vater begann mit vier Jahren, Nannerl beschreibt es so:
Im vierten Jahr seines Alters, fieng sein Vatter so zu sagen spielend an ihm auf dem Clavier einige Menuet und Stücke zu lehren. Es kostete sowohl seinem Vatter als diesem Kind so wenig Mühe, dass es in einer Stunde ein Stück, und in einer halben Stunde eine Menuet so leicht lernte, dass es solche dann ohne Fehler, mit der vollkomsten Nettigkeit, und auf das genaueste auf dem Tact spielte. Es machte solche Vorschritte, dass es mit fünf Jahren schon kleine Stücke componirte, welche es seinem Vater vorspielte, der es dann zu Papier setzte. 56
Wolfgang Amadeus Mozart war sicher ein geborenes Wunderkind, ein Genie. Aber die Frage bleibt, ob sein Vater Leopold nicht auch die eigenen ungestillten Sehnsüchte in sein Wunderkind hineinprojiziert hatte. Vielleicht konnte er sein eigenes Scheitern im Studium und seine relative Erfolglosigkeit als Musiker angesichts dieses Sohnes vergessen und damit als Vater eine Bedeutung erlangen, die er als Mensch und Musiker niemals hätte gewinnen können.
Meistens sind die Wunderkinder durch ihre besonderen Begabungen schon früh auffällig â sowohl positiv als auch negativ â und manchmal werden sie erst spät oder gar zu spät erkannt. Dann hinterlassen sie bei der Nachwelt ein schlechtes Gewissen, weil die Menschen ihrer Zeit sie nicht gefördert oder sogar schlecht behandelt haben. Warum bloà hatte sich kein reicher aristokratischer Mäzen gefunden, der dem chronisch ausgelaugten, überarbeiteten und gehetzten Mozart ein erträgliches, regelmäÃiges Einkommen gesichert hatte? Vielleicht hätte er noch wie Bach ein langes Leben haben und komponieren können, anstatt mit 35 Jahren elend sterben zu müssen. Allein im Jahr 1790 und damit ein Jahr vor seinem Tod hat Mozart 8 Bettelbriefe geschrieben und musste sein ganzes Mobiliar für eine Schuldverschreibung pfänden. Ãberall stieà er auf Unverständnis und Gleichgültigkeit. Und in seinem Todesjahr 1791 kamen noch die Sorge um die Gesundheit seiner Frau Constanze Stanzerl hinzu und die alltägliche Sorge um die Lebenshaltungskosten sowie seine Zwangskompositionen für den niedrigsten Lebensunterhalt, zu denen nicht zuletzt das Requiem gehörte. Man kann durchaus sagen, dass Mozart seit seinem siebten Lebensjahr krank war. Hinzu kamen die ewigen strapaziösen Reisen durch Europa, zu denen sein Vater ihn antrieb. Die Ursache seines Todes wurde mit hietzigem Fieselfieber angegeben, damals eine ebenso übliche wie nichtssagende Diagnose, heute geht man von einer Nierenerkrankung und einem Herzversagen aus.
Stolze Eltern
Wie kann man sich solche Eltern-Kind-Beziehungen erklären, in der die Sehnsüchte und Ambitionen der Eltern sich derart destruktiv auf die Entwicklungen der Kinder auswirken können? Alle Eltern lieben doch ihre Kinder, zumindest nach eigener Aussage. Zunächst einmal ist ein solcher Vorgang nichts Ungewöhnliches oder gar Pathologisches und wird in der Tiefenpsychologie als narzisstische Projektion bezeichnet. 57 Alle Eltern wollen gerne auf ihre Kinder stolz sein und manche sonnen sich sogar in deren Erfolg. Dann meinen sie, dies sei zu einem groÃen Teil ihr eigener Verdienst. Sollte das Kind jedoch versagen, kann dies dem Kind selbst oder auch dem schlechten Einfluss des anderen Elternteils zuschrieben werden.
Unter narzisstischer Projektion versteht man ganz allgemein die Projektion narzisstischer Bedürfnisse nach Bewunderungund Bedeutung in ein Kind. Wenn einem Elternteil die Selbstliebe, die jeder Mensch zum Leben braucht, nicht ausreicht oder abhanden gekommen ist, wenn das Selbstwertgefühl schwach ist und das Elternteil daher immer aufs Neue nach Bedeutung und Bewunderung durch andere sucht, dann kann es auf vielfältige Weise versuchen, seine mangelnde Bedeutung zu kompensieren. Solche
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