Sehnsucht

Deutschland, das Kreuz ist das Symbol der Christen und der Halbmond das der Muslime, die Blaue Blume war das Symbol der Romantiker, der Kranich ist das Symbol der Lufthansa, der gelbe Mustang ist das Symbol von Ferrari, ein Hamburger steht für Fastfood, eine Baseballkappe für Sportlichkeit, der nasse Look von Haaren voller Gel soll Frische und Fitness symbolisieren, ein Hosenanzug bei Frauen soll Durchsetzungsfähigkeit signalisieren und nicht zuletzt ist der Schlips das Symbol des gepflegten Mannes. Nichts ist, wie es scheint. Jedes Utensil und jede Handlung hat eine eigene Bedeutung. Es scheint, als lebe die gesamte Industrie von der Symbolik und jede Marke, jedes Label stehe für einen eigenen Lebensstil und eine andere, alte oder neue Sehnsucht.
    Manchmal brauchen die Menschen eine ganze Weile, bis sie dieses Missverständnis erkennen: dass sich das Glück nicht im Einkaufszentrum kaufen lässt. Aber so lange sie daran glauben und die wirklichen Sehnsüchte sich kaum oder nur schwer verwirklichen lassen, bleibt dieses Missverständnis bestehen. Und die Industrie investiert sehr viel Geld, um diesen Irrglauben aufrechtzuerhalten, denn vor allem daran verdient sie. Bei dieser Kommerzialisierung der Sehnsüchte werden aber nicht nur die bestehenden Sehnsüchte auf die Abwege der symbolischen Ersatzbefriedigung gelenkt, es werden auch neue geschaffen und das führt zu weiteren Missverständnissen, Problemen und auch Kosten.
    Um also die heutigen menschlichen Sehnsüchte zu verstehen, müssen wir quasi den umgekehrten Weg der Symbolbildung gehen. Wir müssen in den Dingen wieder die Sehnsüchte erkennen, die sich in ihnen versteckt haben. Dies ist zum einen eine kulturelle Aufklärung und zum anderen eine individuelle, denn manche Sehnsüchte sind von der Kultur, dem Kommerz und dem Zeitgeist geschaffen worden und andere sind nur individuell nachvollziehbar. Denn diese individuelle Seite hat auch etwas mit den vielfältigen menschlichen Ängsten zu tun: mit der Angst zurückgewiesen zu werden, zu versagen, nicht zu genügen, nicht liebenswert zu sein, oder wieder verlassen zu werden. Diese Ängste verhindern, dass wir unsere Sehnsüchte offen zeigen können und dann lieber den angstfreundlichen Weg der Symbolisierungen gehen, um unsere Sehnsüchte zeigen zu können. Damit hat nicht nur die Industrie ein Interesse an der Symbolisierung der Sehnsucht, sondern wir selbst auch – und im günstigsten Falle treffen sich beide Interessen.
    Weibliche und männliche Sehnsüchte
    Wenn die weibliche Sehnsucht in einem Paar Schuhe symbolisiert wäre, dann wären es die High-Heels der Sexkolumnistin Carrie Bradshaw, gespielt von Sarah Jessica Parker, in der Serie Sex and the City . Carrie trägt in jeder Serie brandneue, absolut heiße, schlicht atemberaubende High-Heels, und die modischen, selbstbewussten Frauen dieser Welt, insbesondere die Singles unter ihnen, kauften sich nach jeder neuen Serie diese als Schuhe getarnte Sehnsucht. Manchmal schien es, als warteten sie nur deshalb so sehnsüchtig auf die neue Staffel, um die neuen High-Heels zu bewundern, die nicht selten einige Hundert Dollar kosten. Wenn man also die durch diese High-Heels ausgelöste Hysterie bei Frauen um die 30 – weniger biologisch als gefühlt – verstehen will, dann sollte man symbolisch denken können. Für den profanen Materialisten und Realisten sind Schuhe nichts als Schuhe, für den Symboliker können sie pure Sehnsucht sein. Es empfiehlt sich daher, zwischen dem banalen Schuh und seiner glamourösen Bedeutung zu unterscheiden. Es liegen symbolisch gesehen Welten zwischen Pumps, Stiefeletten, Peeptoes, Sandaletten, Stiefeln oder Ankle Boots. All dies sind nicht nur verschiedene Schuhe, sondern ganz unterschiedliche Symbole der Sehnsucht, deren Einsatz wohlüberlegt sein will. Ob die Frau zum ersten Date schwarze Pumps oder rote Peeptoes trägt, eröffnet einen tiefen Einblick in ihren Seelenzustand, ihre erotischen Absichten oder gar sexuellen Verklemmtheiten. Wenn ein Mann dies nicht versteht, ist er nur ein typischer Mann, wenn eine Frau dies nicht weiß, ist sie keine moderne Frau. Mehr noch: Dann beherrscht sie anscheinend nicht das kleine Einmaleins der urbanen Partnersuche. Eine selbstbewusste Frau muss also nicht einfach Schuhe kaufen und tragen, sondern dabei vor allem die Sprache der Symbolik beherrschen, und wenn sie dies