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Sehnsucht

Sehnsucht

Titel: Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang R. Hantel-Quitmann
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sozial, sondern nur noch individuelle sind. Der positive Entwurf einer humanen Gesellschaft ist nicht nur seit Auschwitz kompliziert bis unmöglich geworden, auch der moderne Zeitgeist der Schamlosigkeit ruft trotzig aus: was kümmern mich die anderen oder die Zukunft, mich interessiert nur mein privates Glück und meine eigene Zukunft!
    Ist die Sehnsucht nach einer menschlichen Gesellschaft im Sinne einer positiven Utopie daher überhaupt noch aktuell? Besteht eine begründete Hoffnung? Dazu Sloterdijk: Wer heute nach der Zukunft von Humanität und Humanisierungsmedien fragt, will im Grunde wissen, ob Hoffnung besteht, der aktuellen Verwilderungstendenzen beim Menschen Herr zu werden. Dabei fällt beunruhigend ins Gewicht, dass Verwilderungen seit jeher gerade bei hoher Machtentfaltung aufzubrechen pflegen, sei es als unmittelbar kriegerische und imperiale Hoheit oder als alltägliche Bestialisierung der Menschen in den Medien enthemmender Unterhaltung. 98 Hoffnung kann und muss begründet werden! Sehnsucht auch? Ja, unbedingt!
    Wenn die Sehnsucht allzu schwärmerisch und romantisch bleibt und nicht durch den Filter der Vernunft auf den Boden der Realität gebracht wird, dann besteht die Gefahr, dass Unmenschliches gerade auch im Namen der Menschlichkeit sich wiederholt. Schon Ernst Bloch war der Meinung, es müsse zwischen Utopistischem und Utopischem unterschieden werden; das eine bringt sich nur unmittelbar, abstrakt an die Verhältnisse heran, um sie rein aus dem Kopf zu bessern, das andere nahm immerhin dazu auch das Bauzeug von draußen … 99 Wir wissen aber auch, dass die Wahrnehmung der Wirklichkeit durchaus im Sinne des Konstruktivismus sehr verschieden sein kann, insofern ist die Berücksichtigung der Wirklichkeit kein Garant für die Qualität einer sozialen Utopie, wenn jeder eine andere Wahrnehmung der Realität hat. Wir müssen also in einen Diskurs eintreten über Fragen der Ethik, des gesellschaftlichen Umgangs miteinander und einer realistischen Utopie, einer Vision einer menschlichen Gemeinschaft am Anfang des 21. Jahrhunderts. Der gnadenlose Pragmatismus der Politik, die enthemmten Medien, der nach wie vor herrschende Neoliberalismus mit seiner sozialen Verantwortungslosigkeit machen Visionen nicht nur schwerer, sondern auch nötiger denn je.
    Heimat als Utopie
    Utopien und Sehnsüchte entstehen immer dann, wenn etwas schmerzlich vermisst wird. Die guten Seiten einer Ehe lernen wir erst schätzen, wenn die Trennung vollzogen ist, die selbstverständlichen täglichen Mahlzeiten werden durch die Erfahrung des Hungers zu etwas Besonderem und die deutschen Verkehrsprobleme erscheinen in den Straßen Pekings lächerlich. Ähnlich verhält es sich mit dem für Deutsche sehr komplizierten Begriff der Heimat. Man lernt Deutschland als die eigene Heimat erst dann schätzen, wenn man längere Zeit im Ausland ist, und dies in manchen Ländern stärker als in anderen. Heimat ist Utopie. Am intensivsten wird sie erlebt, wenn man weg ist und sie einem fehlt, das eigentliche Heimatgefühl ist das Heimweh . 100 Und Heimweh ist vor allem Sehnsucht.
    Wenn wir uns in der Fremde nach Deutschland sehnen, dann ist dies eine konkrete Erfahrung von Heimat. Auf diese Weise gibt die Sehnsucht eine klare Antwort auf eine Frage, die wir sonst als Deutsche kaum beantworten können. Statistisch ist Heimat für 31 % der Wohnort, für 27 % der Geburtsort, für 25 % die Familie, für 6 % die Freunde und für 11 % das Land. Wenn also nur 11 % aller Deutschen unser Land mit der Heimat verbinden und fast 90 % dies nicht tun, dann ist die Angst vor einem Nationalismus immer noch wirksam, weil die Geschichte immer nur verdrängt und verklärt, aber nicht wirklich verarbeitet wurde. Und die Heimat als Erfahrung wird ins Ausland verlegt, wird zur Sehnsucht in der Ferne. Genauso erging es bereits Heinrich Heine, der in Frankreich stets das vermisste, was er in Deutschland erlebte und größtenteils nicht ertragen konnte. In der jüngeren deutschen Geschichte erging es vielen Menschen ebenso: Die Sehnsüchte rund um die Wiedervereinigung waren übergroß und hoffnungslos verklärt, und damit waren Enttäuschungen unvermeidlich. So entstehen Sehnsüchte als Erinnerungen oder Utopien, weil die modernen Realitäten ihre Erfüllung versagen.
    Toleranz zwischen Religionen
    In den kommenden Jahren –

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