Sehnsucht
und vielleicht noch viel stärker als in den vergangenen â wird die Welt von Konflikten heimgesucht werden, die stark religiös gefärbt sind. Nicht wenige Politikwissenschaftler sind schon lange der Meinung, dass die Kriege der Bush-Administrationen im Irak und in Afghanistan nicht nur Kriege um Ãl, Märkte, Handelswege und geopolitische und militärische Vormachtstellung waren, sondern auch moderne Religionskriege. Ob sich an ökonomische Verteilungsprobleme religiöse Ãberzeugungen knüpfen oder ob religiöse Konflikte der Kern des Problems sind, wird nur im Einzelfall zu entscheiden sein. Aber eine der groÃen Utopien der Zukunft wird sich um das friedliche Miteinander, das Verstehen, die Ãkumene und um die Toleranz zwischen den groÃen Weltreligionen ranken. Brennpunkt dieser Frage ist und bleibt der Nahe Osten, die Zukunft des Staates Israel, im engeren Sinne der Stadt Jerusalem.
Der Niederländer jüdischer Abstammung Leon de Winter hat einen beklemmenden Roman über Das Recht auf Rückkehr geschrieben. Die Geschichte spielt im Jahre 2024 in Tel Aviv. Der Staat Israel ist auf einen schmalen Küstenstreifen zusammengeschrumpft, in dem nicht mehr viele Menschen leben. Er ist von einer meterhohen Betonmauer umgeben und an den Grenzposten sind DNA-Scanner installiert. Bram Mannheim arbeitet in einer Agentur, die nach verschwundenen Kindern sucht. Er selbst hat vor 20 Jahren seinen damals vierjährigen Sohn verloren. Damals lebte er als anerkannter und erfolgreicher Hochschullehrer in Princeton in den USA. Sein Sohn wurde am hellichten Tag von seinem Grundstück entführt, er hat ihn seitdem nie wieder gesehen. Seine Ehe ist daran gescheitert, ebenso seine berufliche Karriere. Er lebt zwischen Depression und Wut in einer Art Niemandsland, nur die Hoffnung, seinen Sohn Bennie irgendwann wiederzusehen, gibt ihm Kraft. Als es zu weiteren palästinensisch-arabischen Terroranschlägen kommt, aber dieDNA-Scanner keinen Hinweis geben, entsteht ein fürchterlicher Verdacht. Radikale Moslemgruppen entführen israelische Kinder, bringen sie in Umerziehungslager und trainieren sie für die weitere Vernichtung Israels. Am Ende tritt er in eine Falle und steht seinem mittlerweile erwachsenen Sohn gegenüber. Bennie ist leicht irritiert und fragt seinen Vater Bram, ob sie sich schon einmal gesehen haben. Irgendwie scheint er sich dunkel zu erinnern. Ja, dachte Bram, ich habe gesehen, wie du geboren wurdest, ich habe gesehen, wie deine Mutter dich gestillt hat, und ich habe dich an dem Tag gesehen, an dem du verschwunden bist. 101 Dann wird Bennie von Sicherheitsbeamten überwältigt und abgeführt.
Während Bram sich der Stadtmitte näherte, fragte er sich, ob Bennie je von seinen Ãberzeugungen würde abrücken können, oder ob er, wenn sich ihm die Möglichkeit bot, seinen Vater, den verräterischen Juden, mit bloÃen Händen töten würde, weil sein Gott nun mal von ihm verlangte, dass er die Erde von Ungläubigen säuberte. 102
Das ist der reine Horror, wenn gewaltbereite islamische Fundamentalisten die Kinder des Feindes Israel entführen, um sie später als Waffen gegen sie einzusetzen. Wie sind da Toleranz und ein friedliches Miteinander noch denkbar? Bei einer Reise nach Israel im Frühjahr 2010 habe ich von einer besonderen Variante einer utopischen Zwei-Staaten-Theorie gehört, die auf verstörende Weise überzeugend klingt. Es gehe nicht um einen Palästinenserstaat und einen Staat Israel, sondern um einen Staat für die gemäÃigten Israelis und Araber und einen Staat für die radikalen.
Vor mehr als 220 Jahren erschien bereits eine Utopie der Toleranz, des Humanismus und der Aufklärung, die auch in Jerusalem spielte: Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing . Seine zentrale Aussage wird in der Ringparabel verdeutlicht: So wie die drei Söhne drei Ringe erhalten, die alle echt seien, so gebe es drei Weltreligionen (Christentum, Islam, Judentum), die allewahr seien und jeweils ihre Berechtigung hätten. Keine sei besser als die andere, keine solle sich über die andere erheben. Der Vater liebe alle drei Söhne gleich, so wie Gott auch alle drei groÃen Weltreligionen. Wie Brüder sollten die Religionen friedlich und tolerant miteinander leben. Wahrlich eine schöne, menschliche und utopische Idee.
Moderne Sehnsüchte
Können ganze Religionsgemeinschaften,
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