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Sehnsucht

Sehnsucht

Titel: Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang R. Hantel-Quitmann
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Telescreens total überwacht, schon ein Augenzwinkern zum falschen Zeitpunkt kann zur Verhaftung führen. Aus der Not heraus beginnt er, ein Tagebuch zu führen. Als er sich in Julia verliebt, gerät sein kontrolliertes Leben aus den Fugen. Beide gestehen sich nicht nur ihre Liebe, sondern auch ihre abtrünnigen Gedanken. Sie finden einen Raum ohne Videoüberwachung, wo sie sich vermeintlich ungestört lieben können. Doch sie werden verraten, gefangen genommen, gefoltert und systematisch umerzogen. Er wird im Doppeldenk trainiert, der Fähigkeit sich selbst nicht mehr zu trauen und nur noch im Sinne der Staatsführung zu denken. Wenn die Partei sagt, 2 und 2 sei 5, dann übernimmt man das. Doppeldenk bedeutet, dies nicht nur zu sagen, sondern auch zu glauben. Diese Gehirnwäsche gelingt aber nicht völlig, denn erwird dabei erwischt, wie er nachts laut im Traum seine Liebe zu Julia bekennt. Daraufhin wird er in das berüchtigte Zimmer 101 gebracht, in dem jeden eine ganz individuelle Folter erwartet. Hier werden durchaus moderne Erkenntnisse der Psychotraumatologie vorweggenommen. Da bekannt ist, dass er panische Angst vor Ratten hat, werden zwei hungrige Ratten in einem Käfig direkt vor seinem Gesicht aufgehängt mit der Drohung, sie frei zu lassen. Angesichts der neuerlichen Folter bittet er seine Peiniger, anstatt seiner Julia zu foltern. Mit diesem Verrat hat er sich vollends aufgegeben, als menschliches Wrack wird er entlassen. Er trifft Julia noch einmal, die auch nur noch ein Schatten ihrer selbst ist und ebenfalls gefoltert wurde. Bevor er am Ende von der Gedankenpolizei exekutiert wird, dankt er demütig und unter Tränen dem Großen Bruder dafür, ihm dabei geholfen zu haben, sich selbst zu besiegen. Er ist als Individuum nicht mehr erkennbar, völlig zerstört und muss eigentlich nicht mehr umgebracht werden, denn er ist innerlich bereits tot. Solange er noch eine Sehnsucht nach persönlicher Freiheit, politischem Widerspruch und privater Liebe hatte, lebte er noch, mit dem Ende dieser Sehnsüchte war er jedoch kein Mensch mehr.
    Humanistische Utopien
    Unterscheiden sich positive und negative Utopien am Begriff und Inhalt des Humanismus? Eine positive Utopie ist eine Vorstellung von einer menschlichen Gesellschaft, wie sie bislang noch nicht existierte und eine negative Utopie ist eine unmenschliche Schreckensvision, wie wir sie in der Geschichte schon mehrmals erlebt haben. Alle wurden von Menschen erdacht und somit erschaffen. Und spätestens seit Auschwitz hat die systematische Unmenschlichkeit oder Inhumanität etwas sehr Reales. Wie müssen wir Humanität nach Auschwitz neu verstehen und definieren? Wenn Menschen in der Lage sind, solch eine unfassbare und systematische Unmenschlichkeit zu begehen, dann bekommt der Begriff des Humanen zugleich etwas Bedrohliches. Dann erscheint die Menschlichkeit nicht mehr als Lösung, sondern eher als Problem. Dann muss Humanismus nicht nur neu definiert und verstanden werden, dann müssen wir uns vor allem darüber Gedanken machen, wie wir eine neue und verbindliche Ethik für menschliches Handeln entwickeln können.
    Der in wirtschaftlicher Hinsicht viel kritisierte Neoliberalismus hat unter dem Namen Globalisierung auch in den sozialen Beziehungen der Menschen zu immer mehr Flexibilisierung, Optionalisierung und Brutalisierung geführt. Manche kluge Menschen glauben: Wir brauchen Regeln für den Menschenpar k 96 , eine bindende und verbindliche Ethik, die der modernen Schamlosigkeit, der Rücksichtslosigkeit und dem Egoismus Grenzen setzt. Aber Scham und Ethik kann man nicht als Regeln einführen, die moralische Entwicklung eines Menschen und einer menschlichen Gesellschaft ist ein langwieriger und komplexer Prozess, der sich nicht verordnen lässt.
    Die moderne Schamlosigkeit hat drei Erscheinungsformen. Erstens den Wertemangel, bei dem ethische und moralische Prinzipien antiquiert erscheinen, die bestenfalls noch für Kirchen und Ethikkommissionen gelten. Zweitens eine Geringschätzung von sozialen menschlichen Gefühlen, wie Mitgefühl, Achtung und Respekt. Und drittens neue ethische Ideale, die alle um das Individuum kreisen, wie Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Autonomie. Es ist eine große Verschiebung der Ideale von der Gemeinschaft in das autonome Individuum, letztlich in das einzelne Ego 97 . Dies bedeutet für die sozialen Utopien, dass sie eben nicht mehr

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