Sehnsuchtsland
Geistreiches von sich geben, aber ihr Verstand war wie leer gefegt.
Ingrids Blicke wanderten zwischen ihrer Schwester und dem Gast hin und her. Sie hob die Torte leicht an und betrachtete Magnus angelegentlich. »Duftet lecker, stimmt’s ?« Als er geistesabwesend nickte, meinte sie: »Wenn Sie wollen, stelle ich Emma und Ihnen ein Stück aufs Zimmer.«
»Danke«, sagte Magnus zerstreut. »Das ist nett von Ihnen.« Ohne den Blick von Lena zu wenden, setzte er hinzu: »Na, dann will ich mal los.« Er lächelte kurz. »Nachschauen, was sich alles verändert hat im Laufe der Jahre.«
»Ach«, meinte Ingrid leichthin, »hier ist noch alles beim Alten.«
»Das würde mich freuen«, sagte Magnus ohne den Hauch einer Ahnung, ob die Antwort passte. Er hatte ganz und gar nicht den Eindruck, der Konversation folgen zu können. Wie denn auch, wenn er die ganze Zeit nur wie ein Idiot dastehen und die Schwester seiner Gastgeberin anstarren konnte.
Er riss sich zusammen, nickte den beiden zu und ging entschlossen davon. Björn schnappte sich Lasse und schlenderte mit ihm in Richtung Haus.
»Netter Typ«, sagte Ingrid mit Blick auf Lena, nachdem Björn und Magnus außer Hörweite waren. »Ich glaube, du gefällst ihm.«
»Findest du?« Lena versuchte, mit den Augen die Breite seiner Schultern abzuschätzen. »Wahrscheinlich ist er verheiratet. Viel zu kompliziert.«
Trotzdem schaute sie ihm nach, bis er hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden war.
*
Magnus hatte nicht vor, einfach nur so durch den Wald zu spazieren. Zielstrebig hielt er auf Marielund zu. Die hellen Augen und das verwirrende Lächeln der blonden Wasserfee hatten ihn zwar den Zweck seiner Reise vorübergehend vergessen lassen, aber immerhin war ihm rechtzeitig wieder eingefallen, dass er nicht nur zur Erholung hier war.
Er blieb an einer Stelle stehen, von der aus er einen guten Blick auf das Herrenhaus hatte. Mit der Digitalkamera machte er einige weitere Aufnahmen und fragte sich dabei, welches Ereignis dazu geführt hatte, dass das Anwesen im Laufe der Jahre so heruntergekommen war. Es wirkte nicht direkt verwahrlost, doch von dem gepflegten, beinahe eleganten Flair, das Marielund damals zu seiner Kinderzeit ausgestrahlt hatte, war es mittlerweile Welten entfernt.
In seiner Hosentasche vibrierte das Handy, und einen Augenblick lang gab er sich der Vorstellung hin, Britta würde anrufen und ihre Ankunft ankündigen. Doch er verwarf den Gedanken sofort wieder. Sie hatte gesagt, sie würde sich erst heute Abend wieder melden. Oder spätestens dann, wenn sie das Ergebnis ihrer Bewerbung erfuhr — was vermutlich erst übermorgen der Fall war.
Auf dem Display stand Claes’ Nummer. Magnus erwog, einfach nicht dranzugehen. Aus unerfindlichen Gründen war er nicht in Stimmung, übers Geschäft zu reden. Doch das war natürlich idiotisch. Claes würde es einfach so lange weiter versuchen, bis er ihn doch noch erwischte. Folglich konnte Magnus es genauso gut gleich hinter sich bringen.
»Wie sieht’s aus?«, fragte Claes. »Hast du das Grundstück gesehen? Schon Ideen? Ich habe übrigens inzwischen ein paar Angebote von Abrissfirmen eingeholt. Das Haus ist doch aus Holz, oder?«
»Nicht so eilig«, sagte Magnus, seine Blicke auf den Gegenstand ihrer Unterhaltung gerichtet. »Das ist alles nicht ganz so einfach. Ich brauche auf jeden Fall noch mehr Zeit.«
»Du hast genau drei Tage«, erklärte Claes rigoros. »Bis dahin müssen wir wissen, ob es sich rechnet, dass wir in die Sache einsteigen. Also, fang an, Junge. Denk dran, wir brauchen so ein Projekt wie dieses. Dringend.«
»Ich melde mich.« Magnus merkte, wie unwirsch seine Stimme klang. Er beendete das Gespräch mit ein paar freundschaftlichen Floskeln, während er sich langsam dem Haus näherte.
Er stieg die große Freitreppe hinauf, die auf die Veranda führte. Die Haustür war offen. Als er die große, kahl wirkende Halle betrat, fluteten hinter ihm Sonnenstrahlen durch den Türspalt ins Haus und erzeugten staubig flimmernde Lichtbahnen über den abgehängten Möbelstücken. Abgesehen davon, dass das Haus unbewohnt war, schien hier drin die Zeit stehen geblieben zu sein. Das schöne alte Holzparkett war von einer dicken Staubschicht bedeckt, und auch die hohen Kassettentüren hätten einen frischen Anstrich vertragen können. Doch für Magnus sah alles beinahe so aus wie damals. Die Marmorbüsten neben der Hallentür, die er schon damals so komisch gefunden hatte. Das gedrechselte
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