Sehnsuchtsland
Holzgeländer der Treppe, die nach oben führte. Die Bilder, die an den Wänden hingen — alles war wie in seiner Kindheit.
Eines der verhängten Möbelstücke in der Halle hatte unter dem Laken merkwürdige Umrisse. Magnus hob einen Zipfel des Leinentuchs an und schaute darunter. Zu seinem Befremden entdeckte er ein völlig demoliertes, offensichtlich bei einem Unfall zerschmettertes Motorrad.
Er zuckte zusammen, als hinter ihm plötzlich Elinors kalte Stimme ertönte.
»Was tun Sie hier?«
Magnus fuhr herum. Diese Frau hatte ein Talent, sich unbemerkt anzuschleichen! Doch sein Schuldbewusstsein überwog seinen Ärger. Immerhin hatte sie ihn nun schon zum zweiten Mal dabei erwischt, dass er unbefugterweise hier herumschnüffelte.
»Entschuldigen Sie, dass ich einfach so hier reingegangen bin«, sagte er hastig. »Es ist nur so... Ich konnte nicht anders. Wissen Sie, wenn ich dieses Haus sehe...« Er hielt inne und holte Luft. »Es ist, als wäre ich wieder acht.« Er spürte Beklommenheit bei diesen Worten, weil mit einem Mal Erinnerungen über ihn hereinbrachen, die wehtaten.
Linkisch deutete er auf die Treppe. »Einmal bin ich da runtergerannt , weil mein Vater mit mir angeln gehen wollte. An der zweiten Stufe war ein Brett locker. Ich bin gestolpert und die ganze Treppe runtergekugelt.« Er lächelte flüchtig. »Ist aber nichts weiter passiert.«
»Diese Stufe!« Elinor schaute in die Ferne. »Wie oft haben wir das Brett festgenagelt, doch es hat sich immer wieder gelöst.« Sie schaute ihn unvermittelt an. »Ich erinnere mich an Ihre Mutter. Kommen Sie mit raus, wir gehen ein Stück.«
Der Garten hinterm Haus war eine einzige verwunschene Märchenlandschaft mit üppigen Rosenstöcken, dicken alten Bäumen und blühenden Sträuchern, alles vor der malerischen Kulisse des nahen Seeufers.
Elinor ging neben ihm, den Blick zum See gewandt. »Ihre Mutter war eine fröhliche Frau. Aber sie hat immer gefröstelt.«
»Sie saß gern unter den Bäumen dort«, sagte Magnus leise, mehr zu sich selbst. »In einem Liegestuhl. Sie war schon ziemlich schwach damals. Aber sie hat die Luft und die Wärme genossen. Und natürlich den herrlichen Blick.«
Jener Sommer auf Marielund war zugleich der letzte im Leben seiner Mutter gewesen. Sie hatten ihn intensiv erlebt, so intensiv wie noch nie eine Zeit davor. Er selbst hatte nicht gewusst, dass seine Mutter sterben musste. Sein Vater schon. Oft hatte er einfach nur dagestanden und sie angeschaut, ohne dass sie es bemerkte, einen Ausdruck verzweifelter Sehnsucht in den Augen. Magnus erinnerte sich, wie sehr es ihn verstört hatte, seinen Vater so zu sehen.
An den Abenden hatten sie gemeinsam Karten gespielt oder am Seeufer die Fische gegrillt, die sie tagsüber gefangen hatten. Er hatte dicht bei seiner Mutter gesessen, die ihn an sich gezogen hatte, als sei er noch ein kleines Kind. »Wärm mich«, hatte sie gesagt. »Mir ist so kalt.«
Im Dezember darauf war sie gestorben.
Magnus merkte, dass er es laut ausgesprochen hatte.
»Das tut mir Leid«, sagte Elinor Frödin.
Sie wirkte nun ein wenig zugänglicher als vorher, und Magnus fand es an der Zeit, ihr ein paar wichtige Fragen zu stellen.
»Sagen Sie, Frau Frödin — was ist passiert, dass Marielund versteigert werden soll? Man sagte meinem Partner, Sie seien nicht mehr die Eigentümerin. Sondern die Nordisc-Bank .«
Elinors Miene erstarrte. »Ich weiß nicht, was Sie meinen. Und ich will es auch gar nicht wissen.«
Sie wandte sich ab und ging zurück zum Haus. Magnus schaute ihr stirnrunzelnd nach. Die ganze Sache wurde immer rätselhafter.
*
Ingrid schälte Äpfel, als Björn in die Küche kam. Ohne ein Wort ging er zur Anrichte, wo er sich, behindert durch den unbrauchbaren Arm, mit unbeholfenen Bewegungen Kaffee einschenkte. Er setzte sich an den Tisch, immer noch schweigend. Er sprach auch nicht, als seine Tochter aufstand, ihm ein Stück Apfelkuchen abschnitt und es vor ihn hinstellte.
Sein Gesichtsausdruck war verschlossen und grüblerisch. Irgendetwas steckte ihm ganz gewaltig quer, und Ingrid musste nicht lange überlegen, was es war.
»Es ist schön, dass sie hier ist, oder?«, begann sie in lockerem Konversationston .
Er fuhr auf. »Sie hat sich nur drei Tage Urlaub genommen!«
Ingrid setzte sich zu ihm an den Tisch. »Das kann ein Anfang sein«, meinte sie begütigend. »Hast du mit ihr geredet?«
Er starrte bloß schweigend auf das unberührte Kuchenstück. Normalerweise ließ er für
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