Sehnsuchtsland
den Betreffenden überhaupt brachte, nett zu ihr zu sein. Niemand wurde mehr nach Marielund eingeladen, und sie blieb niemals auf der Straße stehen, um ein Schwätzchen zu halten. Wenn sie überhaupt in die Stadt kam, dann nur, weil es sich nicht vermeiden ließ. Sie musste essen und brauchte Lebensmittel, folglich musste sie einkaufen. Und weil das nicht ohne Geld ging, war sie gezwungen, etwas zu verdienen.
Sie erinnerte sich nicht genau an den Zeitpunkt, als sie kein Geld mehr von der Bank hatte abheben können. Irgendwann vor ein paar Jahren war es einfach aufgebraucht gewesen. Natürlich waren ihr die Zusammenhänge klar, doch jedes Mal, wenn sie versuchte, genauer darüber nachzudenken, verspürte sie nur diese eigenartige Interesselosigkeit und die Gewissheit, dass es völlig sinnlos war, sich den Kopf über die Zukunft zu zerbrechen.
Die Arbeiter auf dem Gut hatte sie schon vor vielen Jahren entlassen, und Ferienwohnungen hatte sie ebenso lange nicht mehr vermietet. Deswegen war kein Geld mehr hereingekommen. Doch das war ihr gleichgültig, und mehr gab es dazu aus ihrer Sicht nicht zu sagen.
Immerhin hatte sie noch ihre Rosen. Vermutlich sollte sie deswegen glücklich sein, denn wenn sie nicht regelmäßig ihre Rosen an Stina hätte verkaufen können, wäre sie wahrscheinlich schon verhungert. Doch auch das berührte sie nur am Rande. Die Rosen wuchsen von allein, sie musste nichts weiter tun, als sie hin und wieder zu düngen und zu gießen und sie dann abzuschneiden und zu Stina zu bringen.
Die Luft war klar und mild an diesem Sommertag. Der Wind raschelte in den Birken, welche die jetzt geschlossene Grundschule säumten, und er wehte den betäubenden Duft der Rosen in Elinors Gesicht.
Die Holzhäuser leuchteten in zarten Pastellfarben, gelb, grün, blau und natürlich auch in jenem warmen, kräftigen Rotton des Faluröd , das traditionell aus den Kupfergruben von Falun gewonnen wurde.
Auf einer der Fensterbänke rekelte sich eine fette Katze, die blinzend den Kopf hob, als Elinor vorbeiradelte. Unweit der kleinen Dorfkirche spielte eine kleine Schar von Jungs Fußball, und vor der Bäckerei hatten sich ein paar Frauen auf ein Schwätzchen zueinander gesellt. Davon abgesehen war es ruhig im Ort, es herrschte eine verträumte, beinahe verschlafene Atmosphäre, wie immer um diese Tageszeit. Elinor legte keinen Wert auf Betriebsamkeit.
Stina trat aus dem Laden, als Elinor vom Rad stieg.
» Hej , Elinor«, sagte sie gut gelaunt. »Deine Rosen sind wieder herrlich! Meine Kunden warten schon darauf!« Sie nahm das dicke Bündel aus dem Fahrradkorb und schnupperte an den vollen Blüten. »Wie viele sind es heute?«, wollte sie wissen. »Was bekommst du?«
»Zweihundertfünfzig Stück«, sagte Elinor mit abgewandtem Gesicht. »Bezahlen kannst du auch beim nächsten Mal.«
Das sagte sie immer, wenn sie die Rosen brachte. Es war, als müsse sie einem inneren Drang folgen, sich unabhängig zu zeigen. Sie brauchte nichts, und der Gedanke, jemand könne auf die Idee kommen, es sei anders, war ihr unangenehm.
Stina lächelte. »Ach was. Ich hole das Geld schnell. Du hast doch noch einen Moment Zeit?« Auch sie folgte einem eingespielten Ritual. Sie würde nicht zulassen, dass Elinor ohne Geld davonfuhr. Insgeheim war Elinor erleichtert. Sie überlegte einen Moment lang, vielleicht doch nachzufragen, ob Stinas Mann sich das Fahrrad einmal ansehen könne.
Doch dann sagte sie unvermittelt: »Für nächstes Jahr wirst du dir einen anderen Rosenlieferanten suchen müssen, Stina.«
So, jetzt war es draußen. Elinor war vor sich selbst erschrocken. Warum hatte sie das gesagt? Wieso ging sie mit einer Geschichte hausieren, an die zu denken sie sich selbst bisher doch die ganze Zeit verboten hatte?
Stina, bereits im Begriff, mit dem Eimer in ihren Armen in den Laden zu gehen, blieb stehen und drehte sich zu Elinor um. Ihr reizendes Gesicht unter dem blauen Kopftuch zeigte eine Mischung aus Bestürzung und Unglauben. Bevor sie die unvermeidliche Frage stellen konnte, kam Elinor ihr zuvor.
»Die Zeiten ändern sich«, sagte sie beinahe barsch. »Wer weiß, ob nächstes Jahr überhaupt noch Rosen auf Marielund blühen.«
Sie wich Stinas fragenden Blicken beharrlich aus und stieg rasch auf ihr Rad. Höchste Zeit, nach Hause zu fahren, sie hatte sich schon viel zu lange hier aufgehalten. Mit einem flüchtigen Gruß verabschiedete sie sich von Stina und radelte davon.
Sie hatte bereits den Ortsrand passiert, als ihr
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