Sehnsuchtsland
was sagen?« Siv stemmte die Hände in die Hüften. »Ich finde das dermaßen kindisch! Wieso könnt ihr euch nicht wie erwachsene Leute verhalten?«
Doch Jan war schon auf ihr Boot gestiegen, um den Ol-stand zu überprüfen.
*
Erik, der ganz selbstverständlich seit Anbeginn ihrer gemeinsamen Segelzeit die Rolle des Skippers innehatte, bediente immer noch das Steuer. Hanna hatte es sich auf der Ruderbank bequem gemacht und schaute in Gedanken versunken übers Wasser.
Bis jetzt hatte alles geklappt. Sie hatten in stummer Übereinkunft alle anfallenden Routineaufgaben an Deck erledigt und waren überraschend gut vorangekommen. Nachdem sie den belebten Teil des Sunds hinter sich gelassen hatten, war nicht mehr viel zu tun gewesen, folglich hatte Hanna angefangen, sich zu entspannen. Sie hatte in der Kombüse eine kleine Mahlzeit zubereitet, die sie gemeinsam an Deck verzehrt hatten, und später hatte sie versucht, in einem Buch zu lesen. Aber zu ihrem Verdruss war es unglaublich langatmig, sodass sie es schnell wieder weggelegt und stattdessen begonnen hatte, die Umgebung zu betrachten.
Vor der Miranda erstreckte sich kilometerweit die offene Schärenlandschaft. Der Bug des Bootes durchpflügte schäumend das klare Wasser, unter dessen Oberfläche hin und wieder ein silbern flirrender Fischschwarm vorbeizog. Zahllose kleine und größere Inseln waren über den Sund verstreut wie Smaragde auf blauem Samt, und nur hier und da leuchtete es rot in dem Grün der Inselchen oder am Ufer, wenn eine Ansammlung von Häusern auftauchte.
Hanna richtete sich auf, als sie unweit der Miranda in Ufernähe ein kleines gelbes Ruderboot ausmachte, auf dem eine Gestalt bedrohlich hin und her schwankte. Es war ein Junge von vielleicht neun oder zehn Jahren, der mit beiden Händen eine Angel umklammerte. Die Rute war von dem Gewicht am Haken durchgebogen, doch der Kleine hielt sie mit verbissener Kraft fest. Das Boot wackelte bei dieser Aktion hin und her und war drauf und dran, umzukippen.
Hanna betrachtete den Jungen, halb belustigt, halb besorgt. »Schau dir den Kleinen an, der hat aber einen dicken Fisch gefangen!«
Erik beachtete sie nicht. Er war damit beschäftigt, den Motor zu starten. Vorhin hatte er ihn auch schon einmal getestet und dabei zwischendurch den Eindruck gehabt, dass er nicht richtig rund lief. Nach ein paar Minuten hatte es sich dann allerdings ganz normal angehört, und Erik hatte sich vorgenommen, es weiter draußen noch einmal zu überprüfen. Das tat er jetzt und hatte diesmal das untrügliche Gefühl, dass der Motor im Begriff war, seinen Geist aufzugeben. Die Maschine gab nur ein schwächliches Rattern von sich und verstummte dann mit einem dünnen Quietschton endgültig.
»Na, unsere Weltumseglung fängt ja gut an«, kommentierte Hanna, ohne ihre Blicke von dem Jungen zu wenden. »Klingt überhaupt nicht gut. Ich dachte, du hast ihn überholen lassen.«
Erik starrte finster den Zündschlüssel an. »Das dachte ich auch.«
»Was ist es denn?«
»Keine Ahnung«, gab Erik zu.
In diesem Augenblick ertönte der Schrei. Hanna fuhr auf und sah gerade noch, wie der Junge in hohem Bogen ins Wasser fiel. Das Boot kippte hinter ihm um und platschte wie eine umgedrehte Nussschale auf die Wasseroberfläche.
»Mist«, sagte Hanna laut.
Sie stand auf und ging zur Reling. »Geh hier mal vor Anker. Ich komme gleich wieder.«
»Hanna!« Erik tat fassungslos einen Schritt in ihre Richtung, doch sie war bereits mit einem beherzten Kopfsprung über Bord gehechtet.
Zügig kraulte sie auf den Jungen zu. »Halt aus! Ich komme!«
Der Kleine hielt weiter mit Leibeskräften seine Angel umklammert. Zwischendurch tauchte er immer wieder kurz ab und schluckte Wasser.
Hanna sah es voller Panik. »Ich bin gleich da!«, rief sie.
Noch ein paar schnelle Züge, dann hatte sie endlich den Jungen erreicht. Sie packte ihn bei den Schultern und zog ihn in Richtung Ufer. Er begann sofort, sich zu wehren. »Lassen Sie mich!« Er strampelte wie ein Derwisch. »Das ist der größte Fisch, den ich je an der Angel hatte!«
Hanna achtete nicht auf seinen Widerstand. Wenn er beschlossen hatte, zusammen mit dem Fisch auf Grund zu gehen, war das seine Angelegenheit. Aber sie würde den Teufel tun und zulassen, dass der Knirps ertrank. Mit aller Kraft zerrte sie das widerstrebende Kind mit sich. »Lass die Angel los!«, befahl sie.
»Nein«, kreischte der Kleine.
Irgendwie schaffte sie es dennoch, ihn ans Ufer zu bugsieren. Während
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