Sehnsuchtsland
Richtung Steg davongeeilt. Achselzuckend stieg Jan in seinen Wagen, um in die Stadt zu fahren.
Auf dem Weg zu ihrem Boot merkte Siv, dass der blonde Typ in dem angeberisch teuren Segelclub-Pulli auf sie gewartet haben musste. Er stand auf dem Steg und blickte ihr Hilfe suchend entgegen.
» Hej «, sagte er. »Gut, dass ich Sie treffe. Ist es vielleicht möglich, hier ein Motorboot zu mieten?«
»Klar, kein Problem.« Sie überlegte, wie er hieß. Es dauerte einen Moment, bis es ihr wieder einfiel. Beilmann, Erik Bellmann. Er und seine Frau waren gestern im Solros abgestiegen, und ihre Yacht lag mit einem Motorschaden drüben in der Werft.
»Eines meiner Boote halte ich für solche Gelegenheiten immer frei. Wann brauchen Sie es denn?«
»Am liebsten gleich.« Er schaute sich angelegentlich um. »Es ist so ein herrlicher Morgen.«
Sie musterte ihn mit beiläufigem Interesse. Wenn sie sich nicht sehr täuschte, war dieser Erik Bellmann ziemlich nervös.
»Kommt Ihre Frau mit?«, fragte Siv ein wenig hinterhältig.
Er schüttelte den Kopf. »Hanna will sich ein wenig den Ort ansehen.«
Das klang in Sivs Ohren reichlich fromm, doch wer war sie, dass sie sich in fremde Angelegenheiten mischte. Hauptsache, die Kasse stimmte. Sie würde ihn auf eines ihrer Boote setzen, und der Rest war seine Sache. Behände sprang sie an Deck und wartete darauf, dass er ihr folgte.
*
Hanna hatte den kleinen Ort rasch erkundet. Es war ein überschaubares, ein wenig verschlafen wirkendes Städtchen, wie es viele in den Schären gab, mit netten kleinen Geschäften und Souvenirshops.
Vor einem Schaufenster blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte die Auslage an, bis sie merkte, dass sie es keine Sekunde länger ertrug. Dann erst schloss sie die Augen.
Es war immer dasselbe, wenn sie an einem Laden vorbeikam, in dem es Spielsachen und Kleidung für Babys gab. Sie konnte nicht anders, als stehen zu bleiben, hineinzustarren und sich vorzustellen, ob sie dieses oder jenes für ihr kleines Mädchen hätte kaufen mögen.
Der Hals tat ihr weh, weil sie ein ums andere Mal so heftig schlucken musste, dass sie kaum Luft bekam. Aber sie weinte nicht.
» Hej «, sagte eine überraschte Stimme hinter ihr. Es war Jan.
Hanna drehte sich um, langsam, damit er den Aufruhr in ihrem Gesicht nicht bemerkte.
» Hej «, sagte sie gefasst.
Er hielt ein Päckchen hoch. »Ich habe schon mal paar Teile für Ihr Boot besorgt.«
»Wann können wir fahren? Wissen Sie das schon?«
»Sie haben es aber verdammt eilig, hier wegzukommen.« Er zwinkerte. »Man könnte meinen, Sie hätten was angestellt.« Er war schon im Begriff, weiterzugehen, als ihm noch etwas einfiel. »Kommen Sie doch mal in der Werkstatt vorbei und leisten Sie mir ein bisschen Gesellschaft.« Er blinzelte ihr erneut zu, diesmal eindeutig charmant.
Alter Schwerenöter, dachte Hanna amüsiert.
»Ich komme gern, wenn ich Sie nicht von der Arbeit ablenke.«
»Oh, aber ich liebe es, mich ablenken zu lassen!«
Im Weggehen lachte er sie über die Schulter hinweg an und sah dabei keinen Tag älter aus als dreißig. Na ja, vielleicht vierzig. Hanna konnte sich plötzlich sehr gut vorstellen, warum Lotta so sauer auf ihn war.
Sie lächelte in sich hinein, während sie weiterschlenderte. Dem Schaufenster mit den Babyartikeln gönnte sie keinen weiteren Blick. Die kurze Begegnung mit Jan hatte sie nicht nur auf andere Gedanken gebracht, sondern ihr auch emotional gut getan. Er war ein netter alter Bursche, Lotta sollte es sich gut überlegen, ob sie ihn weiter zappeln ließ.
An der nächsten Ecke blieb sie verdutzt stehen, denn auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah sie Niclas aus einem Geschäftshaus kommen. Er war in Begleitung einer elegant gekleideten Frau Mitte vierzig.
»Was denken Sie, Frau Hellberg?«, hörte Hanna ihn sagen.
»Das Haus dürfte kein Problem sein«, antwortete die Frau. »Es ist in einem sehr guten Zustand, und der Garten ist perfekt. Die Praxis...« Sie zögerte und warf einen Blick zurück auf das Geschäftshaus. »Die jungen Arzte arbeiten lieber in Stockholm.« Sie wandte sich wieder Niclas zu. »Sie sind doch auch nach Stockholm gegangen.«
»Sicher.« Seine Stimme klang abweisend. »Aber nicht, um zu praktizieren.«
Er schaute hoch, und Hanna empfand es wie einen elektrischen Schlag, als sich ihre Blicke trafen. Sein Lächeln war eine Offenbarung für sie, es war, als ginge auf seinem Gesicht die Sonne auf. Hanna spürte eine eigenartige
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