Sehnsuchtsland
depressiven Löcher fiel. Das Leben ging weiter, aber er tat sich schwer damit, es zu akzeptieren. Stattdessen quälte er sich viel zu oft mit der Frage, ob er etwas hätte ändern können. Jeder wusste, dass es so oder so passiert wäre. Nur Niclas wollte offenbar nicht sehen, dass es einfach ein unglücklicher Zufall gewesen war. Und, was weit frustrierender war, er wollte anscheinend nicht begreifen, wie viel Spaß es noch im Leben gab. Und dass sie die einzige Person war, die sich wirklich Mühe gab, ihm diesen Gedanken näher zu bringen.
Siv trat auf die Terrasse und blieb einen Moment unschlüssig stehen. Wenn er auf diesen Felsen hockte, wollte er meist allein sein, um ausgiebig über alle möglichen unerfreulichen Dinge nachzudenken, und oft genug hatte sie einen leicht abweisenden Ausdruck in seinen Augen entdeckt, wenn sie ihn dabei störte.
Sie zog kurz in Erwägung, ihn lieber in Ruhe zu lassen, aber dann ging sie entschlossen über die Wiese zu den Felsen und blieb direkt hinter ihm stehen. »Ich habe Pelle ein Glas Saft gebracht. Was ist mit dir? Kaffee?«
»Bitte?« Niclas drehte sich zu ihr um. »Oh, Kaffee. Den mache ich .« Er rutschte von dem Felsen und machte Anstalten, ins Haus zu gehen, das Gesicht immer noch in kummervolle Falten gelegt.
Entnervt überlegte Siv, dass es ja auch mal anders hätte sein können. Dass er einfach mal lachte, wenn sie auftauchte.
Sie hielt ihn zurück. »Du hast heute schon so viel gemacht. Dein Tag war anstrengend genug. Ich mache den Kaffee.«
Er fasste sie beim Arm, als sie zum Haus gehen wollte. »Siv, es ist lieb von dir, dass du dich so um Pelle und mich kümmerst.« Offene Dankbarkeit stand bei diesen Worten in seinen Augen. Es tat Siv gut, war aber nicht unbedingt das, was sie wollte.
»Ich mache das wirklich gern.« Sie trat einen Schritt näher an ihn heran, bis sie dicht vor ihm stand und ihm direkt in die Augen sehen konnte. In einer Aufwallung von Zärtlichkeit nahm sie sein Gesicht in beide Hände, beugte sich vor und küsste ihn behutsam auf den Mund. »Ich wünschte, ich könnte mehr für dich tun«, flüsterte sie.
Er lächelte zögernd und ein wenig erstaunt. Siv registrierte, dass ihr Kuss offenbar nicht die leiseste Spur von Leidenschaft in ihm entfacht hatte. Vielleicht lag es daran, dass er generell ein so unerotisch denkender Mann war. Nun, das war ein Punkt, an dem sie noch arbeiten würde. Bei entsprechender Stimmung wäre bestimmt auch Niclas in der Lage, ihre Reize mit anderen Augen wahrzunehmen. Und sich entsprechend zu verhalten.
Achselzuckend ging sie zum Haus, um endlich Kaffee zu kochen.
Als sie oben auf der Terrasse zu ihm zurückblickte, sah sie, dass er wieder aufs Wasser starrte.
*
Erik lauschte Hannas regelmäßigen Atemzügen. Sie war endlich eingeschlafen, während er selbst wahrscheinlich bis zum Morgen wachliegen würde, weil er nicht aufhören konnte, an Elsa zu denken. Es war ein Gefühl, als hätte er sich bei lebendigem Leib ein wichtiges Körperteil amputiert. Der Schmerz ließ einfach nicht nach, und er hatte keine Ahnung, wie er es aushalten sollte, sie ein ganzes Jahr nicht zu sehen. Oder, was noch schlimmer war, überhaupt nicht mehr. So, wie er es ihr bei ihrem letzten Treffen klar gemacht hatte, mit harten, deutlichen Worten, weil sie es anders nicht hätte begreifen können.
Ruhelos fuhr er mit den Händen über die Bettdecke und starrte auf die Muster an den Wänden, die durch irgendwelche kaum sichtbaren, huschenden Lichtreflexe von draußen erzeugt wurden. Vielleicht eine Gartenlaterne, die sich im Wasser des Sunds spiegelte. Oder Mondlicht, das durch die im Wind schaukelnden Zweige eines Baums fiel.
Es hielt ihn nicht länger im Bett. Er warf die Decke zurück und stand auf, eine Hand bereits auf dem Handy, das neben ihm auf dem Nachttisch lag. Es war die ganze Zeit an gewesen, aber er hatte sämtliche Klingeltöne deaktiviert und auch den Vibrationsalarm abgestellt. So konnte er zwar sehen, ob eine Nachricht einging, aber das ständige Piepsen hatte aufgehört.
Auf dem Display war der Eingang von Textmeldungen angezeigt. Sie hatte ihm jede Menge SMS geschickt, eine nach der anderen. Wie kannst du das tun? Ruf mich an! Geh nicht weg! In dem Stil ging es weiter, bis der Speicher voll war. Angerufen hatte sie auch, mindestens zehnmal.
Erik nahm seinen Bademantel vom Stuhl und zog ihn über. Er trug nur T-Shirt und Boxershorts und hatte keine Lust zu frieren.
Geräuschlos ging er quer durchs
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