Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sehnsuchtsland

Sehnsuchtsland

Titel: Sehnsuchtsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inga Lindström
Vom Netzwerk:
Brustkorb, tastete über die Rippen, als wolle er dort etwas festhalten.
    »Jan?« Beunruhigt trat sie einen Schritt vor.
    Er keuchte und versuchte, etwas zu sagen, doch es drangen nur unartikulierte Laute aus seinem Mund. Im nächsten Augenblick knickten die Knie unter ihm ein, und er sackte wie vom Blitz gefällt zusammen.
    »Jan!« Lotta schrie mit überkippender Stimme seinen Namen. Es gelang ihr gerade noch, seinen Fall zu bremsen, bevor er mit dem Kopf auf die Planken schlug. Ausgestreckt blieb er auf dem Steg liegen, das Gesicht zum Himmel gewandt, die Augen weit offen und auf seltsame Weise verschleiert. Lotta packte seine Schultern und schüttelte ihn. »Jan!«
    Hanna ließ ihre Tasche fallen und war ein paar Sekunden später an ihrer Seite. »Was ist?«, schrie sie bestürzt.
    »Ich rufe einen Krankenwagen«, stieß Lotta hervor. Sie rappelte sich hoch und rannte die paar Schritte zum Telefon, das an der Außenwand neben dem Kontor angebracht war.
    Hanna beugte sich über Jan. Seine Lider flatterten, und er versuchte, etwas zu sagen. Seine Lippen formten ein Wort. Es war der Name seiner Frau.
    Lotta kam zurück, blankes Entsetzen im Blick. »Sie brauchen eine halbe Stunde«, sagte sie hilflos. Stolpernd ging sie neben ihrem Mann in die Knie.
    »Ich laufe zu Niclas, das geht schneller!« Hanna sprang auf und rannte los. Die körperliche Anstrengung war ungewohnt, doch sie achtete nicht auf das Seitenstechen und das Brennen in ihren Bronchien. Japsend erreichte sie endlich das rote Häuschen. Sie hielt sich nicht damit auf, zu klopfen, sondern stieß einfach die Tür auf und rannte ins Haus. »Niclas?« Keuchend hielt sie sich am Türpfosten fest. Er war da, er kam sofort aus der Küche, als er ihre Stimme hörte. Gott sei Dank war er zu Hause! Stapel von Geschirr türmten sich auf dem Küchentisch, und überall standen Umzugskisten herum. Anscheinend war er im Begriff, seine Zelte hier abzubrechen.
    »Hanna!« Auf seinem Gesicht zeigte sich eine Abfolge rasch wechselnder Gefühle, zuerst Verblüffung, dann sehnsüchtige Freude und schließlich offene Besorgnis, als er erkannte, dass etwas passiert sein musste.
    »Komm schnell!«, rief sie außer Atem. »Jan ist zusammengebrochen!«
    Niclas prallte zurück. Er war wie betäubt.
    »Habt ihr den Krankenwagen gerufen?«, fragte er. Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren seltsam schleppend, und mit einem Mal hatte er das Gefühl, seine Füße nicht mehr richtig bewegen zu können.
    »Ja, aber der braucht eine halbe Stunde! Du musst Jan helfen!«
    Er folgte ihr, blieb aber in der Haustür stehen. »Hanna...« Er wusste nicht, wie er es ihr sagen sollte. Mühsam nach Worten ringend, presste er hervor: »Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
    Hanna drückte seine Hand. Ein wissender Ausdruck stand in ihren Augen. »Du wirst gebraucht«, sagte sie ruhig. »Komm.«
    Niclas holte tief Luft. Ihre Worte hatte etwas in ihm berührt, das niemals in Vergessenheit geraten durfte, solange er Augen zum Sehen und Hände zum Arbeiten hatte. Da war jener Schwur, den er vor langer Zeit geleistet hatte. Es war der Eid, den jeder Arzt zu jeder Zeit befolgen musste.
    Er strauchelte auf dem Weg zum Dielenschrank, fing sich aber wieder, bevor er sich niederkauerte und die Tasche mitsamt Kardio-Set hervorkramte. Einen Augenblick fühlte es sich ungewohnt an, aber dann lag es in seiner Hand, als stünde es völlig außer Frage, dass es dort hingehörte.
    Nur Augenblicke später waren sie beim Wagen. Niclas riss die Fahrertür auf und zögerte. »Du musst wissen, dass ich einmal einen geliebten Menschen nicht retten konnte...«
    Sie unterbrach ihn sofort. »Niclas, du bist Arzt. Du musst es tun.«
    Das wusste er selbst, sie hatte es nur noch einmal ausgesprochen. Er setzte sich kommentarlos hinters Steuer und stieß den Wagenschlüssel ins Zündschloss. Hanna glitt auf den Beifahrersitz und knallte die Tür zu. Niclas gab Gas, und gleich darauf brauste der Wagen aus der Einfahrt in Richtung Straße.

    *

    Lotta kniete neben Jan auf dem Steg und streichelte ihm unablässig die Stirn. »Es wird gut«, weinte sie. »Es wird alles wieder gut.«
    Hin und wieder wischte sie sich die Tränen weg, um überhaupt noch etwas erkennen zu können. Ihr Make-up war zerlaufen, und ihre Strümpfe waren zerfetzt, und vorhin hatte sie sich an einem hervorstehenden Nagel den Rock zerrissen. Doch das alles war von größtmöglicher Bedeutungslosigkeit.
    Nur Jan war wichtig. Er musste entsetzliche Schmerzen

Weitere Kostenlose Bücher