Sehnsuchtsland
haben, doch er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, dieser liebe, verrückte Mensch! Er starb vielleicht und wollte immer noch den starken Mann markieren! Lotta schluchzte auf und wiegte sich auf den Knien vor und zurück, während er rasselnd nach Luft rang und doch bei keinem einzigen Atemzug genug davon in seine Lungen saugen konnte. Sein Gesicht war wachsbleich und sah ganz fremd aus, weil es so verzerrt war. Seine Lippen waren blau angelaufen, und seine Blicke irrten panisch hin und her.
Sie hatte ihm ein Kissen aus Netzen und zusammengerollten Seilen unter den Kopf geschoben, damit er leichter atmen konnte. Doch jedes Mal, wenn er Luft holte, schien er dem Ersticken ein Stück näher zu kommen.
»Ich bin bei dir, Liebling!«
Sein Mund öffnete und schloss sich, und sie beugte sich vor, um ihn verstehen zu können. Ihre Tränen tropften auf sein Gesicht, doch es kümmerte sie nicht.
Seine Worte kamen gequetscht und kaum hörbar heraus, doch Lotta verstand ihn trotzdem.
»Ich war ein Idiot.«
»Ich auch«, sagte sie weinend.
»Es tut mir Leid, dass ich dich so verletzt habe«, flüsterte er mühselig.
»Ich weiß«, stammelte sie. »Jetzt rede nicht so viel. Alles wird gut, ganz bestimmt!«
»Sicher?«
»Ganz sicher!«
»Warum küsst du mich dann nicht?«
Sie lachte unter Tränen und beugte sich über ihn, darauf bedacht, ihn nicht mehr als nötig zu berühren. Sacht küsste sie ihn auf die Lippen, ganz kurz nur. Dann hörte sie endlich das Geräusch des näher kommenden Wagens und hätte am liebsten erleichtert aufgeschrien. Gefolgt von Hanna, kam Niclas über den Steg gerannt und hockte sich neben Jan auf die Planken.
» Hej , Jan. Wo sitzt der Schmerz?« Er nahm Jans Handgelenk und fühlte den Puls.
»Ich glaube, es ist der Rücken«, murmelte Jan.
Niclas riss seinen Koffer auf und zog das Stethoskop hervor. Hastig horchte er Jans Brust ab und blickte dann betroffen auf.
»Der Krankenwagen ist unterwegs, ja?«
»Was ist mit ihm?« Lotta stellte die Frage, obwohl sie es bereits ahnte.
»Nicht aufregen«, sagte Niclas knapp. »Aber ich fürchte, es ist ein leichter Herzinfarkt.«
»Es sind Rückenschmerzen«, keuchte Jan protestierend.
»Das ist ja das Fatale. Herzprobleme äußern sich oft über Schmerzen im Rücken oder in den Armen.« Niclas nahm eine Spritze und zog sie auf, als Lotta einen entsetzten Aufschrei hören ließ.
Jan zuckte und schnappte nach Luft, und einen Moment später fiel sein Kopf zur Seite.
»Gott«, presste Niclas zwischen den Zähnen hervor, nachdem er abermals Jans Brust abgehört hatte.
»Was ist?«, schrie Lotta angsterfüllt.
»Herzstillstand.« Niclas war bereits dabei, die Elektroden des Defibrillators auf Jans Brust zu befestigen. »Achtung, Vorsicht!«, brüllte er. »Wegbleiben!« Er drückte den Auslöser mit dem roten Leuchtherz, und Jans Körper bäumte sich unter dem Stromstoß auf. Im nächsten Moment atmete er wieder. Lotta brach weinend neben ihm zusammen, während Niclas und Hanna sorgenvolle Blicke tauschten. Wenig später waren endlich die Sirenen des nahenden Krankenwagens zu hören.
*
Hanna kam es so vor, als hätten sie Stunden gewartet, doch in Wahrheit waren kaum dreißig Minuten vergangen, als Niclas aus der Notaufnahme kam. Er trug einen Arztkittel, ein für Hanna ungewohnter Anblick. Die Berufskleidung ließ ihn souverän wirken, seine ganzen Bewegungen und sein Gesichtsausdruck strahlten Professionalität aus. Hanna sah ihn näher kommen, und dann korrigierte sie sich in Gedanken. Es war nicht der Kittel oder das Stethoskop, das aus seiner Brusttasche schaute, sondern der Mensch. Niclas war Arzt, und er war es mit jeder Faser seines Wesens. Er hatte es einfach nur für eine Weile vergessen.
Siv eilte ihm entgegen. Sie war vor zehn Minuten eingetroffen. Kreidebleich und mit angstvoll geweiteten Augen war sie pausenlos im Gang auf und ab marschiert, während Lotta reglos an der Wand gestanden und ihre Schuhspitzen angestarrt hatte.
Niclas zog erschöpft den Kittel aus. »Fürs Erste ist er über den Berg.«
Lotta stöhnte und sackte sichtlich zusammen. »Gott sei Dank! Können wir zu ihm?«
»Er wird gerade auf die Intensivstation gebracht. Sie lassen euch sicher gleich zu ihm.«
Siv nahm Lottas Hand. »Kommst du mit?«, wandte sie sich an Niclas.
»Es ist besser, wenn es nicht zu viele Leute sind. Er soll sich nicht aufregen. Sagt ihm, ich komme später noch einmal vorbei.«
Siv nickte und folgte eilig ihrer Mutter
Weitere Kostenlose Bücher