Sehnsüchtig (German Edition)
klein wenig tiefer, definitiv unter die Anstandsgrenze, und er lächelt in die Linse, mit diesem Lächeln, etwas überlegen, ein wenig diabolisch . Alys blickt immer noch zu ihm auf und atmet seinen Geruch ein. „Mach mal die Augen zu“, kommt jetzt von Nicolas. Sie tut was er sagt. „Grossartig. Du machst das super.“ Sie hört die Stimme des Fotografen nur von weitem.
Und so geht es weiter. Den ganzen Vormittag. Aber Alys verliert jedes Zeitgefühl. Nicolas lässt sie Arm in Arm auf ihn zukommen, lässt sie tanzen, eng umschlungen, als wären sie alleine in einer Bar, lässt sie sich auf jede erdenkliche Art an Eliot schmiegen, über die Schulter zurückblicken in die Linse, dazwischen muss sie sich immer wieder umziehen und er auch. Auf das „Miss Moneypenny“-Outfit folgt ein violettes Minikleid; dann verboten kurze schwarze Shorts mit einer weissen Rüschenbluse; dann ein Abendkleid, rot wie Blut, rot wie die Farbe auf ihren Lippen. Und immer wieder Schuhe, in denen sie kaum stehen, geschweige denn gehen kann. Aber weil sie sich an Eliot festhält, klappt es trotzdem. Irgendwann vergisst sie Nicolas, vergisst Irina und Mascha und alle anderen und geht in ihrer Rolle auf. Sie ist diese taffe, geheimnisvolle Frau, eine Spionin vielleicht , und sie ist verrückt nach James Bond. Oder sie ist Alys im Wunderland und er ist der edle Ritter, dem sie sich mit Leib und Seele verschrieben hat.
Irgendwann gibt es Mittagessen. Das Buffet wäre super, aber Alys bringt nur wenige Bissen hinunter. Orientalische Häppchen aus diesem Vegetarierrestaurant beim Hauptbahnhof. Es gibt mittlerweile in jeder grösseren Stadt im Land eines davon. Die Restaurantkette hat ihren Besitzer längst zum Multimillionär gemacht. Cornelia, oder Conny, die Journalistin, hat sich mit Eliot zum Interview hingesetzt und schäkert schamlos mit ihm. Er meistert das Interview souverän, wie Alys von weitem sehen kann. Er raucht eine Zigarette, gestikuliert lebhaft, und immer wieder schallt sein Lachen dunkel durch das Fotostudio. Alys nimmt sich eine Coladose aus dem Kühlschrank, das Aluminium fühlt sich wohltuend kühl an ihrer Haut an. Dann schlendert sie zu Mascha und Irina hinüber, so gut es in diesen Schuhen eben geht. Beide haben einen Teller in der Hand. Mascha schiebt sich eine Gabel Couscous in den Mund, dann sagt sie etwas, das Irina zum Lachen bringt. Alys ist froh darüber. Mascha ist ihr übliches sonniges Selbst und es scheint auf Irina abzustrahlen, sie sieht entspannter aus als noch heute morgen. „Hey Supermodel.“ Mascha grinst sie an. Alys verdreht nur die Augen. In Irinas Mundwinkeln erscheint ein Lächeln. „Ihr beiden geht durch dick und dünn, nicht wahr?“ Alys lächelt. „Ja, seit 14 Jahren. Auch wenn sie manchmal anstrengend ist.“ Sie zwinkert Mascha zu. „Ich liebe dich auch ...“, gibt Mascha zurück.
„Ich bin gespannt auf den Artikel, den sie schreibt“, sagt Alys und deutet auf Conny und Eliot. Mascha lacht. „Ich nehme mal an, er dürfte jegliche journalistische Distanz vermissen lassen“, prophezeit sie. Sie notiert jetzt Stichworte auf einen imaginären Notizblock. „Schön, sexy, attraktiv, unwiderstehlich, gefährlich ...“ Jetzt grinst auch Irina. „Vermutlich etwa so“, sagt sie dann.
„Ist das manchmal nicht anstrengend?“, will Mascha jetzt wissen. „Wenn sie so lechzen wie diese Conny ...“ Irinas Blick schweift zu ihrem Verlobten und der Journalistin hinüber. Sein Gesichtsausdruck ist jetzt verschlossen, er lehnt sich etwas zurück auf seinem Hocker und dreht am Verlobungsring an seinem Finger, es scheint eine unbewusste Bewegung zu sein. „Uh, sie hat eben die Frage gestellt“, sagt Irina. „Das hasst er.“
„Welche Frage?“, will Mascha wissen. „Die Frage nach dem Privatleben. Oder nach mir.“ Alys erinnert sich an seine Antwort in einem Interview von ein paar Monaten. „Ich bin seit Jahren in festen Händen und wir haben ein kleines Kind. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ Wahrscheinlich lautet seine Antwort heute ähnlich. Und nach seinem Gesichtsausdruck kam sie kühl und knapp.
„Du wolltest wissen, ob es anstrengend ist?“ Irinas Blick kehrt zu Mascha zurück. „Es geht. Ich habe ja mein eigenes Leben und bin nicht nur Elis Anhängsel. Extrem ist es erst seit der Sache mit ‚Sehnsüchtig’ ... Und hinterher gelaufen sind sie ihm schon vorher ...“ Sie wirft ihren Pappteller mit Schwung in den Abfallsack.
„Aber bist du nie eifersüchtig?“, fragt
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