Sehnsüchtig (German Edition)
piepst. Sie sieht seinem Gesicht an, dass die Nachricht von Irina ist. Er wirft einen kleinen Blick in ihre Richtung, dann beantwortet er die SMS. Sie klappt den Laptop zu. „Ich nehme ein Bad“, murmelt sie und steigt aus dem Bett.
Als sie zurückkommt, komplett angezogen, wie vorher, liegt sein iPhone wieder auf dem Nachttisch und er ist in sein Buch vertieft. „Hast du Hunger?“, will er wissen und blickt auf. „Willst du irgendwo essen gehen oder soll ich beim Zimmerservice etwas bestellen?“ Alys reibt sich unschlüssig den Bauch. Sie hat sich eben die Zähne geputzt, und so sehr sie in sich hineinhört, ihr Magen meldet keinen Hunger. „Eigentlich bin ich immer noch ziemlich satt von all dem Knabberzeug und vom Cola.“ Eliot legt sein Buch auf den Nachttisch. „Mir geht’s ähnlich. Lass uns dafür morgen das Frühstücksbüffet plündern.“ Er gähnt mitten im Satz und sie lächelt. „Du siehst müde aus“, fügt sie hinzu. „Ja, ich glaube ich geh schlafen.“
„Ich komme auch.“ Sie kniet neben ihrem Gepäck nieder, öffnet den Reissverschluss und sucht nach ihrem Pyjama, das violette, das sie bereits gestern getragen hatte. Aus dem Augenwinkel sieht sie, wie er aus seinen Jeans steigt und sich das Hemd von den Schultern streift. Sie studiert seinen Rücken. Sie hatte schon immer eine Schwäche für Männerrücken. Und für braune Augen. Und sehnige Unterarme. Mascha hingegen achtet auf Waden, und sie mag den nördlichen Typ, blond und blauäugig. Männergeschmackstechnisch waren sie sich nie in die Quere gekommen. Sie beobachtet die kleinen Bewegungen seiner Schulterblätter, als er sich vorne überbeugt und in seiner Reisetasche kramt. Er ist einer dieser Männer, die das Glück haben, ohnehin maskulin auszusehen, weil sie von Natur aus gut gebaut sind. Sport scheint für ihn genauso ein Fremdwort zu sein wie für sie. Aber wegen seines hektischen Lebens kommt er gar nicht dazu, Fett anzusetzen. Seit gestern weiss sie, dass sich sein Bauch fest anfühlt und sich eine Spur dunkler Haare vom Bauchnabel nach unten zieht. Er schlüpft jetzt aus seinen Boxershorts, um andere anzuziehen und sie blickt rasch weg. Ihre Haut prickelt. Sie greift nach ihrem Pyjama und verschwindet ins Badezimmer. Vielleicht wird er sie jetzt für prüde halten, aber das ist es nicht. Erst seit gestern Nacht ist sie in seiner Gegenwart so unsicher. Etwas Elektrisierendes scheint zwischen ihnen zu fliessen, sirrt zart, immer da, schwer zu ignorieren. Wie lange, bis sie sich daran die Finger verbrennt? Wieder? Es darf nicht wieder geschehen, aber ihr ist klar, dass es schwierig für sie wird, sollte er Anstalten machen. Sie hängt sich an den Wasserhahn, um ihren Mund zu befeuchten. „Kann ich reinkommen?“ Sie spuckt das Wasser hastig aus. „Ja“, ruft sie dann. Dann kommt er ins Badezimmer. Die neuen Boxershorts sind königsblau und sonst trägt er nichts. Das Badezimmer fühlt sich plötzlich klein an. Er lächelt sie an und greift nach seiner Zahnbürste. „Du gefällst mir so ...“, sagt er.
„Wie ‚so’?“
„Ungeschminkt. Ich mag die roten Lippen auch. Aber so, ganz ohne etwas, siehst du unschuldig aus.“ Die Wortwahl bringt sie zum Lachen. „Ich bin nicht unschuldig.“ Er muss ebenfalls lachen. „Das Wort klingt doof, aber es ist schwierig zu beschreiben, was ich meine.“
„Auf jeden Fall danke“, sagt sie jetzt. Er betrachtet ihr Gesicht und bleibt stumm. Der Moment dehnt sich aus, wird zu einer kleinen Ewigkeit. Der elektrisierende Strom zwischen den beiden pulsiert stärker. Alys hat Mühe, ihre Füsse vom Boden zu lösen, dann gelingt es doch noch und sie verlässt das Badezimmer. Es kommt ihr vor, als fliehe sie. Sie legt sich ins Bett, zieht ihren Laptop zu sich und liest auf der Seite ihrer Lieblingszeitung die News des Tages. Eliot schmunzelt als er aus dem Bad kommt. „Du bist wirklich abhängig von dem Ding, nicht wahr?“
„Ich lese die Nachrichten“, gibt sie zurück. Er setzt sich auf seiner Seite des Betts hin und die Matratze ächzt etwas. „Was sagen die Nachrichten?“ Er schlüpft unter die Decke. Das Bett ist wirklich ziemlich schmal für zwei Personen. Sie runzelt die Stirn und überlegt. „Es gibt aussergewöhnlich viele Gleitschneelawinen. Die westlichen Sanktionen gegen den Iran bringen nicht den gewünschten Effekt. Berlusconi entkommt wieder einmal einer Verurteilung. Oh – und die französischen Bauern wenden sich von Sarkozy ab – noch eine Gruppe, die ihn
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