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Sehnsüchtig (German Edition)

Sehnsüchtig (German Edition)

Titel: Sehnsüchtig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne Woodtli
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hat sie ja auch gesagt, ich hätte gewollt, das du etwas sensibler reagiert hättest, sie hat sich über sein Verhalten beschwert, ihn kritisiert, das macht sie sonst nie. „Was willst du? Dass ich Irina verlasse?“ Natürlich war das unsensibel. Sie hat gesagt, dass sie nicht darüber nachgedacht hat, was sie will.
    Aber darauf kommt es eigentlich nicht an. Sie ist Single. Es kommt darauf an, was er will, was er macht, wie er sich entscheidet. Mich entscheiden? Für was denn. Oder für wen? Für Alys? Ist das überhaupt eine Option, will ich das? Was empfinde ich überhaupt für Alys? All die vielen Fragen. Eine Stimme in seinem Kopf hat Alys schon verschiedene Male angebracht. Aber er hatte immer weggehört, beschlossen, nicht darüber nachzudenken. Scheisse, er hat ja noch nicht mal darüber nachgedacht, was mit ihm und Irina ist, wenn er nach Hause kommt. Ob er es ihr gestehen soll? „Darling, ich habe dich betrogen.“ Er weiss ja nicht einmal, ob Irina bei ihm bleibt, auch wenn sie nichts von all dem erfährt. Sie zweifelt doch, an ihm, an der Beziehung.
    Vor wenigen Monaten war sein Leben noch Bilderbuchperfekt gewesen, hätte man sagen können. Bis auf den vielen Stress und was dieser Stress mit ihm gemacht hat. Der ihn hat übellaunig werden lassen, mehr trinken lassen als früher, mehr rauchen und bei jeder Gelegenheit Streit anfangen ...
    Oberflächlich betrachtet war alles in Ordnung: Seit zehn Jahren in einer Beziehung, immer noch verliebt, nie daran zweifelnd, dass Irina die Richtige ist. Er will sie doch heiraten, sie ist die Mutter seiner Tochter und er liebt sie, für ihr grosses Herz, für ihre Loyalität, für ihre blauen Augen, für all ihre kleinen Schwächen wie ihre Unsicherheit, und dass sie nicht gerne alleine ist, wegen ihrer Familiengeschichte. Er liebt sie doch, er begehrt sie immer noch, sie ist schön und liebevoll und lässt ihm seinen Freiraum, und sie gehört ihm, sie gehört doch zu mir .
    Und jetzt das.
    Er betrügt sie. Er begehrt eine andere Frau, auch, das lässt sich ja nicht abstreiten, dass er Alys begehrt, dass sie ihm wichtig ist, dass er dieses seltsame Bedürfnis hat, sie zu beschützen und es kaum erträgt, sie weinen zu sehen. Es ist schwierig für ihn, wenn sie wütend ist auf ihn wie jetzt gerade. Er geniesst es in ihrer Nähe zu sein, weil sie auf seltsame Weise gut für ihn ist. Er konnte in den letzten Tagen schlafen, ganz ohne Schlaftabletten. Er musste nicht an zuhause denken, an das Album, an die Deadline, an den Stress – an die schwarze Wolke. Plötzlich steckt er in einem Dilemma, von dem er immer gedacht hatte, das würde nur anderen Männern passieren. Ganz sicher nicht ihm. Er war immer der Meinung, kein Betrüger zu sein, nie fremd zu gehen. Er dachte, er sei kein Mann, der mehrere Frauen hat und mit ihnen spielt. Und jetzt ist er das. Genau das. Er steckt mitten in einer Situation, die aus einem dieser furchtbaren Drehbücher zu ‚Sehnsüchtig’ stammen könnte: Mann betrügt langjährige Partnerin mit einer anderen Frau, treibt ein böses Spiel, lügt, betrügt, ist der amoralische Bösewicht. Bin ich jetzt der Bösewicht? Und was mache ich jetzt?
    Seine rationale Seite übernimmt wieder die Kontrolle. Erstmal mit Alys reden und alles klären . Er will nicht, dass sie wütend auf ihn ist. Das tut weh – ihr und ihm auch. Also steht er auf und geht zur Badezimmertür und drückt die Klinke herunter. Bringt nichts, sie hat abgeschlossen. Die Dusche rauscht noch immer. Ob sie weint unter der Dusche und das Wasser laufen lässt, damit er es nicht hört? Hat er sie zum Weinen gebracht? Schon wieder, wie vor wenigen Tagen nachts im Atelier? Sein Magen verkrampft sich. Er will nicht, dass sie wegen ihm weint. Er will überhaupt nicht, dass sie weint. Sein Handy auf dem Nachttisch macht sich bemerkbar. Er geht ums Bett herum und Irinas Gesicht strahlt ihm vom Display entgegen. Irina, sagt das Handy. Als ob ich das nicht wüsste. Wie könnte es auch anders sein, dass sie genau jetzt anruft. Er kommt sich plötzlich vor wie ein Hampelmann, an Fäden hängend, die sein spöttisch lächelndes Schicksal in den Händen halten. Er will abheben, dann fällt ihm ein, dass sie die Dusche im Hintergrund hören könnte. Also lässt er es klingeln, steigt in seine Boxershorts, in seine Jeans, greift nach seiner Jacke, nach Zigarettenschachtel, Handy, Feuerzeug und geht auf den Balkon. Wenigstens regnet es nicht mehr, aber die Wolken hängen grau über dem Meer. Er

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